Rezension

Leben als Migrant

American Dirt - Jeanine Cummins

American Dirt
von Jeanine Cummins

Bewertet mit 5 Sternen

Was bringt Menschen dazu auf einen fahrenden Zug aufzuspringen? Diese Frage versucht Jeanine Cummins in ihrem Buch zu beantworten.

Was bringt Menschen dazu auf einen fahrenden Zug aufzuspringen? Sich der Gefahr auszusetzen dabei überrollt, verstümmelt, auf grausame Art ums Leben zu kommen? Diese Frage versucht Jeanine Cummins in ihrem Buch zu beantworten. Sie erzählt die Geschichte der mexikanischen Mutter Lydia und ihres achtjährigen Sohns Luca, deren gesamte Familie von einem Kartell ermordet wurde, und die jetzt um ihr Leben zu retten in die USA flüchten. Dabei müssen sie sich immer wieder auf fremde Hilfe verlassen, um Empathie betteln, auf ihren gewohnten Komfort verzichten – und vor allem viele hundert Kilometer auf dem Dach eines fahrenden, gefährlichen Güterzugs verbringen: auf La Bestia

Diesen Namen haben die Züge bekommen, die Güter von Mittelamerika in die Vereinigten Staaten bringen und dabei tausende Migranten als blinde Passagiere mitnehmen. Es ist eine gefährliche Art zu reisen, die täglich unzähligen Menschen das Leben kostet – dennoch sind die Migranten verzweifelt genug, um auf die Züge aufzuspringen. Cummins schafft es in ihrem Buch sowohl die Gefahren und Erniedrigungen dieser Migranten zu beschreiben, als auch deren Schicksale, Beweggründe und Gefühle. So liegt der Fokus der Erzählung zwar auf Lydia und Luca, aber auch die Geschichten anderer Flüchtlinge werden erzählt. Als Leser bekommt man so ein kompletteres, vielschichtigeres Bild. Auch in das Leben der Kartelle, Narcos, Polizisten, Journalisten, Coyoten und ganz normalen Bürgern gibt sie einen Einblick und macht so die Zusammenhänge klar – erklärt die Dynamik, die eine gebildete, wohlhabende Frau dazu zwingen kann mit ihrem kleinen Kind auf dem Dach eines Güterzuges in el norte zu flüchten.

Für mich war die Thematik nicht neu: das Migranten aus Mittelamerika in die USA flüchten weiß jeder, der Nachrichten sieht und liest;  La Bestia kannte ich aus anderen Büchern, etwa von Don Winslow. Trotzdem hat mir das Buch immer wieder die Augen geöffnet. Die Nachrichten verallgemeinern das Flüchtlingsthema, Don Winslow legte seinen Fokus auf die Kartelle – doch in diesem Buch ist der Leser gezwungen sich ganz konkret mit Einzelschicksalen auseinandersetzten. Kann deren Flucht nicht auf eine allgemeinpolitische Ebene bringen, sondern muss mit Lydia und Luca mit leben, wenn sie auf Züge springen, sich in dunklen Schuppen verstecken, von der Polizei davonlaufen und tatenlos dabei zusehen müssen wie sie ausgeraubt und erniedrigt werden. Als Leser fiebert man unweigerlich mit, fühlt seinem Adrenalinspiegel ebenso in die Höhe schnellen, wie den der Protagonisten, lässt in seinem Kopf dieselben Gedankengänge ablaufen und hofft auf ein gutes Ende für alle.

So legt das Buch den Fokus klar auf das Leben einzelner Menschen und umgeht auf diese Weise direkte politische und soziale Stellungnahmen, auch wenn diese natürlich mitschwingen. Der Leser wird aufgefordert sich mit der Situation dieser Migranten auseinander zu setzen, bekommt von der Autorin jedoch keine Meinung diktiert, sondern lediglich Fallbeispiele. Mir gefällt diese Art Menschen für unpopuläre Themen sensibel zu machen.