Rezension

Leben im Zeitraffer

Ein ganzes Leben
von Robert Seethaler

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
„Ein ganzes Leben“ erzählt die Lebensgeschichte von Andreas Egger, einem einfachen Mann aus den Bergen, einem Arbeiter, der Glück und wahrscheinlich noch mehr Leid erfahren hat, der nicht so recht weiß, wo er hergekommen ist und noch viel weniger, wohin er gehen wird, der einfach, da ist und das Beste aus dem macht, was das Leben ihm vor die Füße wirft. So wie wir alle irgendwie.

 

Meine Meinung:
Mein Herz tut weh, nachdem ich „Ein ganzes Leben“ beendet habe. Sagen warum kann ich nicht genau, denn es ist ein Buch über’s Leben, nicht nur schwermütig, sondern versöhnlich. Das Buch erzählt die Geschichte von Andreas Egger, von Schicksalsschlägen und dem Weitermachen, ohne dabei in Bitterkeit zu verfallen, selbst in den einsamsten Momenten seines Protagonisten nicht. Trotzdem schmerzt es, ein fremdes Leben (oder das Leben generell) aus der Vogelperspektive zu betrachten, sich von einem Buch vor Augen führen zu lassen, wie vergänglich wir eigentlich sind, und wie sehr unser Schicksal von äußeren Einflüssen bestimmt wird. Deswegen ist „Ein ganzes Leben“ auch kein einfaches Leseerlebnis. Wenn man das Buch zur Hand nimmt, sollte man in der Verfassung dazu sein, sich mit existenziellen Themen beschäftigen zu wollen. 

Die Kürze des Textes macht seltsam deutlich wie wenig Zeit wir eigentlich auf der Welt haben. Der Autor rast quasi durch Andreas Eggers Lebensjahre. Gerade war er noch dreißig, auf einmal ist er schon sechzig. Das alles geschieht in einer klaren, dichten Sprache, die mich in ihrer Sanftheit und Zurückhaltung, aber auch in ihrer Ernsthaftigkeit, fast schon an die klirrend kalte Winterlandschaft erinnert, die in der Geschichte so oft beschrieben wird. 

Es ist schon merkwürdig, was Bücher alles können, welche Sichtweisen sie uns eröffnen. Plötzlich habe ich das Gefühl heute Morgen über meinen eigenen Horizont hinausblicken zu können und fühle mich ganz klein im Angesicht der großen Geschichte, die wir alle ein Stück weit miterleben können. Jeder für sich und jeder eben nur ein Stück weit. Unser ganz persönliches Stück Geschichte. „Ein ganzes Leben“ berichtet vom Stück Leben eines einzigen Mannes und es fühlt sich ein bisschen so an, als täte das Buch das stellvertretend für jeden. Es gibt in dieser Geschichte keine klassischen Nebencharaktere oder Antagonisten, nur Weggefährten, die kurze oder längerer Zeit bleiben. Man muss den Roman vielleicht weniger als eine Geschichte, sondern mehr als einen Bericht verstehen. Die Szenen vor dem Hintergrund der rauen Bergwelt sind auf bildlicher Ebene mächtig, die Emotionen leise, aber tief. Ich habe diesen Bericht innerhalb eines Tages gelesen. Er ist in seiner Kürze und Klarheit ergreifender als mancher fünfhundert Seiten Roman. 

Fazit:
Ein kleines großes Buch über das kleine große Leben eines Menschen. Danke an dieser Stelle an @lesereien, ohne die ich es vermutlich nicht so schnell gelesen hätte.