Rezension

Sein Leben war Mühsal und Arbeit - aber trotz allem lebenswert

Ein ganzes Leben
von Robert Seethaler

Bewertet mit 5 Sternen

Ein dünnes kleines Buch, das mit den richtigen Worten das ganze Leben eines schlichten Menschen beinhaltet. Großartig!

Nach dem Tod seiner Mutter kommt der etwa vierjährige Andreas Egger im Sommer 1902 auf den Hof seiner Verwandten in einem österreichischen Bergdorf. Dort erwarten das Kind harte Arbeit und viel Schläge, was der Bub klaglos hinnimmt. Als er acht Jahre alt ist, bricht ihm der Bauer bei einer Prügelattacke das Bein, den Knochen wächst krumm zusammen und Andreas hinkt fortan. Trotzdem wird aus ihm ein besonders kräftiger junger Mann, der sich nach seinem 18. Geburtstag einem Angriff des Bauern widersetzt und ihm droht, ihn umzubringen. Er verlässt daraufhin den Hof und nimmt jede Arbeit an, bis er von dem verdienten Geld ein kleines, steiniges Grundstück mit einer Hütte oberhalb des Dorfes pachten kann. Er lernt Marie kennen, die neue Hilfskraft in der Dorfwirtschaft. Um ihr einen Heiratsantrag zu machen und eine Familie gründen zu können, arbeitet er nun beim Bautrupp der Firma, die die neue Seilbahn auf den Berg errichtet. Marie nimmt seinen Antrag an und zieht zu ihm in seine Hütte. Die beiden verbringen eine glückliche Zeit miteinander, bis das Schicksal grausam zuschlägt …

Robert Seethaler, geb. 1966 in Wien, ist ein österreichischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Schauspieler, der an Theatern in Wien, Berlin, Stuttgart und Hamburg mitwirkte. Für seine Romane erhielt er eine Reihe von Preisen und Stipendien. „Ein ganzes Leben“ stand 2016 auf der Shortlist für den Internationalen Booker Prize. Seethaler, der an einem angeborenen Augenfehler leidet (minus 17 Dioptrien), ist Vater eines 2009 geborenen Sohnes und lebt in Berlin-Kreuzberg und Wien.

Der Schreibstil des Autors ist klar und schnörkellos, dennoch einfühlsam mit sehr viel Tiefgang. Mit einfachen Worten entführt er uns in die Bergwelt zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, erzählt von dem kargen, entbehrungsreichen Leben der Bergbauern und lässt uns den allmählichen Wandel zur Moderne miterleben. Wir sind mit Andreas Egger im Krieg, erleben die Grausamkeiten russischer Gefangenschaft und seine Rückkehr ins heimische Bergdorf, wo er bald als Wanderführer sein Auskommen hat. Ohne zu jammern nimmt dieser schweigsame Mann, der stets ein Außenseiter ist, seine Schicksalsschläge hin und wir bekommen einen Eindruck davon, was ein Mensch in der Lage ist zu ertragen. Mit 79 Jahren, kurz bevor ihn ein sanfter Tod heimsucht, blickt er staunend auf sein Leben zurück – und wir staunen mit ihm.

Fazit: Eine ebenso einfache wie ergreifende Geschichte, schön und poetisch erzählt – sehr empfehlenswert!