Rezension

Eine Geschichte vom Sinn des Lebens

Ein ganzes Leben
von Robert Seethaler

Bewertet mit 4.5 Sternen

Robert Seethalers neuer Roman tut das, was der Titel verspricht: Er erzählt »ein ganzes Leben«.

Seethaler entfaltet die Geschichte von Andreas Egger, der im Sommer 1902 als kleiner Junge in ein im Tal gelegenes Dorf am Fuß der Berge zum Großbauern Hubert Kranzstocker kommt, dort aufwächst, zum Hilfsknecht und schließlich zum Seilbahnarbeiter wird, der in Marie seine große Liebe findet und wieder verliert.

Es ist eine schöne Geschichte, die Seethaler atmosphärisch dicht erzählt – ein Leben, das meist dahinfließt, ohne große Sensationen, die Geschichte eines einfachen Mannes.

Egger spricht nicht viel, auch nicht viel mit Marie; er macht sich seine Gedanken, klagt nicht über das, was ihm geschieht, tut das, was nach seinem Empfinden nötig ist, ist mit wenigem zufrieden. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, ist für ihn klar, dass er sich fürs Militär meldet – zunächst wird er nicht genommen, später schon. Überlegungen über den Sinn des Krieges, über den Nationalsozialismus kommen in ihm nicht auf.

Bis auf die Zeit von Krieg und Gefangenschaft und einige Aufträge für die Firma für Seil- und Sesselbahnanlagen in Nachbartälern wird Egger sein ganzes Leben in jenem Tal und jenem Dorf leben und arbeiten. »Für seine Begriffe«, heißt es gegen Ende des Buchs, »hatte er es irgendwie geschafft und dementsprechend allen Grund, zufrieden zu sein … er hatte ein Dach über dem Kopf, schlief in seinem eigenen Bett, und wenn er sich mit dem kleinen Hocker vor die Tür setzte, konnte er den Blick so lange schweifen lassen, bis ihm die Augen zufielen und das Kinn auf die Brust kippte. Wie alle Menschen hatte auch er während seines Lebens Vorstellungen und Träume in sich getragen. Manches davon hatte er sich selbst erfüllt, manches war ihm geschenkt worden. Vieles war unerreichbar geblieben oder war ihm, kaum erreicht, wieder aus den Händen gerissen worden. Aber er war immer noch da.« (S. 141 f.)

Man kann den Roman als eine Geschichte vom Sinn des Lebens lesen – ein Leben, das stimmig ist und zufrieden, ohne große Reisen und Unternehmungen, ohne philosophische Reflexion und viel Bildung. »Egger stand alleine am Berg. Lang stand er da und rührte sich nicht, während sich um ihn langsam die Schatten der Nacht zurückzogen. Als er sich endlich bewegte, blitzte hinter den weit entfernten Gebirgsketten die Sonne hervor und übergoss die Gipfel mit ihrem Licht, so weich und schön, dass er, wäre er nicht so müde und verwirrt gewesen, hätte lachen können vor reinem Glück.« (S. 144 f.)