Rezension

Liebe, Love & L'Amour

Die Halbwertszeit von Glück -

Die Halbwertszeit von Glück
von Louise Pelt

Bewertet mit 3 Sternen

Wenn jedes Jahr Anfang November im Fernsehen die Bilder vom Fall der Mauer in Berlin gezeigt werden, dann bin ich jedes Mal von Neuem ergriffen und kurzatmig. Die Ungläubigkeit, das Unfassbare der Situation, der Jubel, das Glück steht den Menschen dieser Nacht auf beiden Seiten ins Gesicht geschrieben. Darauf bin ich auch immer noch ein wenig neidisch, denn obwohl es auch ein Teil meiner Geschichte ist, war ich zu jung, um den Moment selbst so hautnah miterleben zu dürfen. Hinein in die Ergriffenheit mischt sich auch ein dunkles Gefühl, denn die dann folgende „Abwicklung“ des Ostens hat bis heute Spuren hinterlassen. Kaum einer der Glücklichen auf den Straßen am 9. November 1989 hat diese Entwicklung wohl kommen sehen. Daran muss ich denken, als Johanna im Wald ihrem Schützling die Halbwertszeit des Glücks erklärt.

Auf drei Zeitebenen bringt uns Louise Pelt die Geschichte von drei Frauen näher, deren Schicksal trotz verschiedener Zeiten, Sprachen und Kontinenten miteinander verwoben ist und darauf wartet endlich erzählt zu werden. Obwohl jeweils gut 15 Jahre zwischen den drei zeitlichen Ebenen liegen, fädelt Louise Pelt diese in eine erzählerische Chronologie, die am Ende in der Gegenwart endet. Leichtfüßig spannt sie einen Bogen von den späten 1930er Jahren in Deutschland als Ausgangspunkt der Geschichte nach 1987 in einen Wald nah der innerdeutschen Grenze bis nach Los Angeles ins Jahr 2003 und schließlich 2019 nach Paris. Jede Zeit erhält ihren eigenen Erzählstil, den ich merkwürdigerweise farblich eingefasst wahrnehme. Und obwohl ich sicher bin, dass diese Geschichten dieser drei Figuren miteinander verbunden sind, fällt mir die Vorstellung schwer, dass die verschiedenen Farben am Ende wirklich zusammenkommen sollen. Mylène hat in Paris eigentlich alles, was sie sich wünschen kann: Liebende Eltern, ein eigenes kleines Unternehmen kurz vor dem internationalen Durchbruch und die Hochzeit mit einem der begehrtesten Junggesellen der Pariser Gesellschaft. Doch Mylènes rosarote Welt wird durch eine unverhoffte Erbschaft auf den Kopf gestellt und sie selbst kräftig durchgeschüttelt. Plötzlich lösen sich alle Gewissheiten in Luft auf und Mylène muss neue Wahrheiten über sich und ihre Herkunft erfahren. Auch Holly muss sich 2003 mit einer traumatischen Situation auseinandersetzen, die alle ihre Träume in der Traumfabrik Hollywood erst einmal auf Eis legt und ihr Leben in eine Pausenschleife versetzt. So schwer Holly an ihrer vermeintlichen Schuld trägt und so tiefschwarz sie ihre Zukunft malt, für mich ist die Erzählzeit in LA in Pastellfarben gefärbt und erinnert stark an die romantischen Komödien der 2000er Jahre. In Johannas Zeitebene sehe ich nicht viele Farben. Die dunklen, graubraunen Töne eines Winterwaldes dominieren für mich die gesamte Szene. In Johannas Leben ist nichts leicht, und keine Farbe in Sicht. Ihr Blick ist von Trauer und Schuld getrübt, die Einsamkeit ein bewusst gewählter Begleiter. Und doch erzählt diese Geschichte vor allem von der Hoffnung und dem Glück, denn ohne Johannas Geschichte wäre auch Hollys und Mylènes Geschichte eine andere.

An Louise Pelts Roman beeindruckt mich eigentlich am meisten, dass sie es schafft, diese drei über viele Kapitel unabhängig laufenden Handlungsstränge am Ende in einen einzigen zusammenzuführen und dabei nur wenig an Glaubwürdigkeit einbüßt. Dennoch hätte ich persönlich noch die ein oder andere Frage zu den nicht auserzählten Zwischenstücken. Nicht alles löst sich für mich unbeschwert in einem Happy End auf. Das wäre wohl mein größter Kritikpunkt am Roman. Das Ende ist mir dann doch zu zuckersüß und nimmt mich nicht richtig mit. Ich bin auf den letzten Metern mit Johannas Huhn im Wald verloren gegangen.