Rezension

Milieu-Krimi ohne Schnick-Schnack

Mexikoring
von Simone Buchholz

Bewertet mit 5 Sternen

Im frühlingshaften Hamburg brennen Nachts des öfteren Autos, so auch im Mexikoring, einer grauen Versicherungs- und Bürohaus-Trabantenstadt im Norden der Metropole, nur das dieses mal ein Mensch dabei auf der Strecke bleibt: Nouri Saroukhan, Jurastudent - der junge, verstoßene Sohn einer Großfamilie, die nie eine richtige Heimat hatte, schon  gar nicht in Ihrem eigentlichen Refugium, in Bremen.
Die Staatsanwältin Chastity Riley ist mit mehreren Ermittlern vor Ort, um dieses Verbrechen aufzuklären, schnell wird ihnen klar, mit wem sie es zu tun haben - Familien-Clans und Kriminelle, die in ganz Deutschland am Rande der Gesellschaft seit Jahren bzw Jahrzehnten  ihr eigenes Dings durchziehen und auf alles von außen und jeden liebend gerne verzichten können, vorallem, wenn es sich um die geltenen Gesetze und deren Vetreter handelt.
Noch am Tatort fällt Ihnen eine junge, rothaarige Frau auf, die etwas gesehen haben könnte - wer ist die Unbekannte? Zeugin? Tatverdächtige oder gerade einfach nur zufällig vor Ort? Zufälle gibt es im Leben von Chastity Riley nicht und so wird die Suche nach der jungen Unbekannten ganz oben auf die Prioritätenliste gesetzt.
Je mehr das Team ermittelt, umso tiefer stoßen sie in eine ihnen (un)bekannte Welt, in der nur "Ehre" und deren Oberhaupt, Gewalt und Verschwiegenheit zählt. Frauen haben dort keinen Stellenwert und werden als Ware, die es jung und unbefleckt zu verschachern gilt, angesehen. Die Schwester eines verfeindeten Clans der Saroukhans, Aliza Anteli, war eine Kinder- und Jugendfreundin von Nouri - ihr gelang vor vielen Jahren die Flucht vor ihrer gewaltätigen Familie; ist sie jetzt Bestandteil des Mordes in Hamburg und können die Ermittler sie im  Wirrwarr der Großstädte ausfindig machen?  Nouri selbst soll in der City-Nord  in einer  hamburger Versicherung tätig gewesen sein, was wissen seine Kollegen oder verheimlichen auch die etwas?
Fazit:  "Mexikoring" von Simone Buchholz ist ein schnökelloser und gut recherchierter Milieu-Krimi aus dem Norden der Republik, der sich durch den knappen, aber teilweise "derben" Schreibstil für mich sehr gut lesen lässt. Es gibt keine beschönenden Worte, sondern es wird gesprochen, wie es eben ist: hart, präzise, unverblümt - nach dem Motto: Baby, komm auf den Punkt!
Die Charaktäre um Chastity Riley, die selbst zu viel trinkt, raucht und ziemlich desillusioniert vom eigenen Leben ist, tragen ihre seelischen Wunden in teilweise zerknitterten Zügen zur Schau, während andere bemüht sind, einfach nur ihren Job gut zu machen, im Wissen, dass sie bei den Verdächtigen eher eine Statistenrolle intus haben. Für mich ein Krimi, der ein sehr aktuelles und "brandgefährliches" Thema wiederspiegelt - eine über viele Jahre entstandene Parallelwelt, in die die Gesellschaft schon lange keinen Zugang mehr hat bzw nie hatte, der Staat sein Versagen in blinder Manier von sich schiebt und entsprechend mit vermeintlicher Schadensbegrenzung reagiert - ein Hexenkessel, der über lang oder kurz ganz gewaltig überkochen wird.
Vielen Dank an "Vorablesen" und den Suhrkamp Verlag für die kostenlose Leseprobe! :-)