Rezension

Originelle Idee...

Löwenzahn & Himmelschlüssel - Christina Hollinde, Gerd Schilddorfer

Löwenzahn & Himmelschlüssel
von Christina Hollinde Gerd Schilddorfer

Bewertet mit 3.5 Sternen

Wenn nicht jetzt, wann dann? Die katholische Kirche schwächelt durch Vatileaks-Skandal und Papst-Rücktritt, von kleinen Affären ganz abgesehen. Die evangelische Kirche muss handeln, wenn Sie nicht noch mehr Schäfchen auf konfessionslose Weiden verlieren möchte. Es muss etwas passieren und zwar genau jetzt! Davon sind auch Pastor Jan Wahlen und Bischoff André Clausen überzeugt. Aktion ist gefragt nach dem Motto Besondere Umstände erfordern besondere Mittel , in diesem Fall einen neuen Frontmann der Protestanten, einem mit Popidolcharakter oder kurz: evangelischen Papst! So machen sich die beiden im wahrsten Sinne des Wortes im Auftrag des Herrn auf die Suche nach DEM Ankerman der evangelischen Kirche. Auf ihrer Reise durch die Republik - der selbsternannten Tour de Papst - erleben sie Höhen und Tiefen, menschlicher wie Promille trächtiger Natur. Auf Gut Piepdieck im Alten Land läuft das Leben von all dem nichts ahnend weiter. Eine skurril sympathische Ansammlung scheinbar verschrobenen Typen hat sich zusammengefunden, um gemeinsam die Schwierigkeiten des Alltags zu meistern. Tim-Ole, der Salon-Satanist, Opa Krause, übrig gebliebenes SED-Mitglied mit unglaublichen Beziehungen und unerschöpflichem Fundus aus VEB-Betrieben, Manfred 'Wolle' Wollner, ein Aussteiger aus Berlin, der in einer alten Villa Hanf anbaut und schließlich Martin Schwarzer, Erlebnis-Catering-Unternehmen mit einem Leichenwagen als fahrbares Buffet. Sie alle kämpfen in "Löwenzahn und Himmelschlüssel" gegen die Wirrungen des Lebens, gegen das flache Land im Alten Land und gegen die Vergangenheit, die in Person des Denkmalamts und eines längst verstorbenen Heimatdichters für unerwartete Wendungen sorgt. Normal ist in diesem Buch gar nichts. Dann tauchen Clausen und Wahlen auf Piepdieck auf ...

Gut Piepdieck in einem kleinen Ort in Niedersachsen bietet gleich ein ganzes Füllhorn an originellen Charakteren. Sei es der Caterer Martin Schwarzer, der seine kulinarischen Kreationen stilecht im umgerüsteten Leichenwagen transportiert, sei es Tim-Ole, der Salon-Satanist mit immer neuen Geschäftsideen oder auch Opa Krause, ein Altgedienter aus dem Osten Deutschlands mit einem schier unerschöpflichen Fundus an Dingen von damals.
Mein Lieblingscharakter allerdings ist Wolle, der zwar auch auf Piependick wohnt, dazu aber eine schicke verfallene Villa in einer riesigen verwahrlosten Parkanlage gemietet hat - um dort in aller Ruhe seine zarten Hanfpflänzchen zu hegen und zu pflegen. In aller Ruhe? Herrje, wohl kaum. In letzter Zeit geben sich merkwürdige Gestalten geradezu die Klinke in die Hand. Nach dem Mitarbeiter des Stromversorgers, den Zeugen Jehovas und einer Schar Hare Krishna Anhänger kommt nun auch noch das Denkmalamt und will die Villa in ein Museum umfunktionieren. Zum Gedenken an einen fast vergessenen Heimatdichter...

Während Wolle alles daran setzt, sich gegen das Vorhaben des Denkmalamtes zur Wehr zu setzen (unterstützt von der lebenden Dorfchronik "Rentrude", zwei aufgeweckten alten Damen, die alles in Waldorf-und-Sattler-Muppetshow-Manier kommentieren), findet sich der Leser gleichzeitig in einem ganz anderen Erzählstrang wieder.
Der ev. Pastor Jan Wahlen und sein bischöflicher Freund André Clausen haben im Suff eine geniale Idee, wie sie den schwindenden Mitgliederzahlen der Kirche entgegenwirken können. Sie suchen sich wie die Konkurrenz auch einfach einen eigenen Papst. Mit der Leitfigur an der Spitze hoffen sie, die ev. Kirche wieder populärer und zeitgemäßer gestalten zu können. Doch wer könnte ein geeigneter Kandidat sein? Ein Nachfolger Luthers scheidet aus, weil es keine lebenden Anverwandten mehr gibt - doch die Linie Philipp Melanchthons scheint noch zu existieren. Und so machen sich die beiden Helden auf eine deutschlandweite Reise, um die in Frage kommenden Kandidaten unter die Lupe zu nehmen...

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Idee der Papstsuche fand ich wirklich originell. Die Umsetzung allerdings gefiel mir persönlich dann leider weniger. Quasi im Dauersuff ertränken Wahlen und Clausen ein ums andere Mal ihre Enttäuschung über die Kandidaten, die alle schlimmen Klischees von Politikern, Versicherungsmanagern und Vertretern der Wirtschaft in sich vereinen. Am witzigsten für mich war in diesen Szenen die Pfarrsekretärin Paulsen, die mit ihren bösartig-schlagfertigen Kommentaren die beiden Saufkumpane ordentlich auf Trab hält.
Trotzdem sind die Figuren im Wesentlichen liebevoll gezeichnet und machen neugierig auf die weitere Entwicklung. In diesem ersten Band der geplanten Reihe um Wolle & Co. werden sie dem Leser erst einmal vorgestellt, ohne wirklich schon in die Tiefe gehen zu können. Vielleicht beim nächsten Mal mit weniger Alkohol und mit Witzen, die nicht zu sehr erläutert werden?

Auch wenn mir der letzte Abschnitt besser gefiel als die Abschnitte davor, weil durch die Raffung des Geschehens die ansonsten auftretenden phasenweisen Längen wegfielen, bleibe ich bei meinen 3,5 Sternen für dieses Buch. Denn ich erhoffe mir schon in den Folgebänden noch einmal eine Steigerung - und dass die Autoren mit demselben Spaß und Elan weiterschreiben wie sie es in Band 1 haben erkennen lassen!

Also, gerne bis zum nächsten Mal... ☺

© Parden