Poetische Lichtungen
Bewertet mit 4 Sternen
Iris Wolffs "Lichtungen" ist ein stiller, poetischer Roman, der tiefgründig und zärtlich die Geschichte einer Freundschaft erzählt, eingebettet in die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche des Banats. Die Protagonisten, Lev und Kato, sind alte Freunde, die sich nach Jahren der Trennung in Zürich wiedersehen. Von dort aus entfaltet der Roman ihre gemeinsame Vergangenheit und zeichnet gleichzeitig das Bild einer sich verändernden Welt.
Wolffs Schreibstil bleibt auch hier bemerkenswert: Zwischen Lakonie und Melancholie beschreibt sie das Innenleben der Figuren auf eine unaufdringliche, aber liebevolle Art. Dabei gelingt es ihr, die Unvollkommenheit und Zerbrechlichkeit der Menschen sensibel einzufangen. Die Sprache ist poetisch und trägt den Leser durch die vielschichtige Geschichte, ohne jemals zu laut oder aufdringlich zu sein. Gerade die leisen Töne, die zurückhaltenden Beobachtungen, machen den besonderen Charme dieses Buches aus.
Trotz der beeindruckenden Sprache und der kunstvollen Erzählstruktur konnte "Lichtungen" mich nicht ganz so sehr packen wie Wolffs vorheriger Roman "Die Unschärfe der Welt". Der Roman ist zwar klug konstruiert und die Idee, die Handlung rückwärts von der Gegenwart in die Vergangenheit zu entfalten, spannend, doch brachte diese Erzählweise für mich eine gewisse Langatmigkeit mit sich. Die Spannung, die zu Beginn aufgebaut wird, flachte im Verlauf etwas ab, und ich empfand das Buch als stellenweise zu vorhersehbar.
Trotz dieser kleinen Kritikpunkte bleibt "Lichtungen" ein Werk, das berührt und zum Nachdenken anregt. Die Charaktere sind authentisch und ihre Beziehungen feinfühlig herausgearbeitet. Besonders die Begegnungen mit den Dorfbewohnern und die subtilen Verweise auf die politischen Verhältnisse im Banat fügen der Geschichte Tiefe hinzu.
Am Ende bleibt ein Roman, der für Fans von Wolffs sprachlicher Kunst und leisen, nachdenklichen Geschichten definitiv lesenswert ist. Dennoch hätte ich mir an manchen Stellen etwas mehr Dynamik und Überraschungsmomente gewünscht. "Lichtungen" fordert Konzentration und lädt dazu ein, mehrmals gelesen zu werden, um all seine Schichten zu erfassen – eine anspruchsvolle Lektüre, die ihre Zeit braucht.
Fazit: "Lichtungen" ist ein sprachlich beeindruckender und sensibler Roman, der jedoch nicht ganz an die emotionale Tiefe und Überraschungsmomente von Wolffs vorherigem Werk heranreicht. Für Liebhaber leiser und poetischer Literatur ist es dennoch eine klare Empfehlung. 4 von 5 Sternen.