Rezension

Sehr geeignet als Schulliteratur

Der Reisende - Ulrich Alexander Boschwitz

Der Reisende
von Ulrich Alexander Boschwitz

Bewertet mit 5 Sternen

EIN JÜDISCHES SCHICKSAL        

Ulrich Alexander Boschwitz (Pseudonym John Grane) war ein deutsch-jüdischer Schriftsteller, wurde 1915 in Berlin geboren und starb im Oktober 1942 bei der Überfahrt von Australien nach Europa. Ein deutsches U-Boot torpedierte das britische Passagierschiff Abosso und mit Boschwitz ging auch sein überarbeitetes Manuskript zum Reisenden unter. Das Buch schrieb er als 23jähriger, ein erstaunlich reifes Werk. Nach 80 Jahren des Erscheinens in englischer Sprache übernahm Peter Graf die Überarbeitung des Buches, was nun hier vorliegt.
Inhalt lt. Klappentext:
Deutschland im November 1938. Otto Silbermanns Verwandte und Freunde sind verhaftet oder verschwunden. Er selbst versucht, unsichtbar zu bleiben, nimmt Zug um Zug, reist quer durchs Land. Inmitten des Ausnahmezustands. Er beobachtet die Gleichgültigkeit der Masse, das Mitleid einiger Weniger. Und auch die eigene Angst.
Der jüdische Kaufmann Otto Silbermann, ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft, wird in Folge der Novemberpogrome aus seiner Wohnung vertrieben und um sein Geschäft gebracht. Mit einer Aktentasche voll Geld, das er vor den Häschern des Naziregimes retten konnte, reist er ziellos umher. Zunächst glaubt er noch, ins Ausland fliehen zu können. Sein Versuch, illegal die Grenze zu überqueren, scheitert jedoch. Also nimmt er Zuflucht in der Reichsbahn, verbringt seine Tage in Zügen, auf Bahnsteigen, in Bahnhofsrestaurants. Er trifft auf Flüchtlinge und Nazis, auf gute wie auf schlechte Menschen. Noch nie hat man die Atmosphäre im Deutschland dieser Zeit auf so unmittelbare Weise nachempfinden können. Denn in den Gesprächen, die Silbermann führt und mithört, spiegelt sich eindrücklich die schreckenerregende Lebenswirklichkeit jener Tage.
Meine Eindrücke:
Das Buch erzählt von den Novembertagen des Jahres 1938. Es beginnt einen Tag nach der „Reichsprogromnacht“ und führt den Leser mit der Hauptfigur Otto Silbermann durch die Wochen danach. Der jüdische Geschäftsmann wird auf brutale, unwürdige Weise von einem Moment auf den nächsten aus seinem normalen Alltag gerissen. Verzweifelt versucht er seine menschliche Würde zu bewahren. Es war für mich schrecklich zu lesen, wie er von Angst und Zweifeln geplagt, seine Entscheidungen ständig hinterfragt, wieder verwirft im wirren Wechsel. Ich fühlte mich wie in einem Strudel mit hineingezogen und konnte seine widersprüchlichen Gefühle verstehen. Man muss sich das mal vorstellen: von jetzt auf gleich alles zu verlieren! Er hatte alle Grundlagen eines normalen Lebens eingebüßt, nicht zuletzt seine Heimat. Seine Aktionen mit dem Zug durch Deutschland zu fahren, waren eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Doch wie er sich selbst immer wieder etwas vormacht, seine Lage nicht erkennt, zeigt dieses Zitat:
"Es sind zu viele Juden im Zug, dachte Silbermann. Dadurch kommen wir alle in Gefahr. Euch anderen habe ich es überhaupt zu verdanken. Wenn ihr nicht wärt, dann könnte ich in Frieden leben. Weil ihr aber seid, falle ich in eure Unglücksgemeinschaft! Ich unterscheide mich durch nichts von anderen Menschen, aber vielleicht seid ihr wirklich anders und ich gehöre nicht zu euch. Ja, wenn ihr nicht wärt, würde man mich nicht verfolgen. Dann könnte ich ein normaler Bürger bleiben. Weil ihr existiert, werde ich mit ausgerottet."

Fazit:
„Der Reisende“ ist ein brisantes, sehr bewegendes und ausserordentlich beeindruckendes Buch. Ich empfinde die Geschichte als hochaktuell, anschaulich und informativ und empfehle sie für den Schulunterricht. Mein Dank gilt Peter Graf und dem Verlag für diese aufsehenerregende Wiederentdeckung eines literarischen Zeugnisses der Ereignisse, die dem Holocaust vorangingen! Das Nachwort liefert wichtige Informationen des Herausgebers!

Ich beurteile dieses Buch mit der Höchstnote.