Rezension

Verrückter Trip in die Hölle

Wer die Hölle kennt -

Wer die Hölle kennt
von Leigh Bardugo

Was macht Alex Stern, wenn ihr Freund und Mentor Darlington im wahrsten Sinne des Wortes zur Hölle gefahren ist bei ihrem letzten Abenteuer? Richtig - nicht die Hände in den Schoß legen, sondern ein Team aus Mördern rekrutieren, den Weg in die Unterwelt finden und die Seele einfach wieder zurückstehlen - und dabei möglichst auch noch ihre Kurse in Yale bestehen und die Aufträge für die magische Studentenverbindung Lethe erledigen. Nichts leichter als das, oder?

Schnallt euch lieber an. Dieser Trip in die Hölle und zurück wird blutig, holprig und verstörend - und für mich ziemlich genial. Aber Achtung - greift euch den ersten Band und lest ihn, denn ansonsten könnt ihr gleich an den Campustoren wieder umkehren - Zutritt nur für eingeweihte.
Die Protagonistin Alex Stern verschwendet nicht viel Zeit darauf, die Situation zu erklären oder noch mal alles zu wiederholen, was im ersten Band passiert ist. Warum auch? Sie hat viel zu viel damit zu tun, in der Bibliothek zu recherchieren, wie man in die Hölle (und zurück!!) kommt, Cosmo (Darlingtons Katze) zu füttern und plausibel zu erklären, wo er steckt. Kurzum - sie hat viel zu tun - und während ich mit Alex durch Bibliotheken und Kurse und Wohnheime hastete, bekam ich sehr viel vom dunklen Yale Flair mit - und genauso, dass Alex von ihren Freunden (ja, sie hat im Gegensatz zu ihrer Ansicht im ersten Teil Freunde gewonnen, die ihr selbst in die Hölle folgen würden!) geliebt und gebraucht wird. Ich habe die Wärme gespürt, die von den Gesprächen zwischen ihr und Mercy oder Dawes ausgingen oder ihren halben Streitereien mit Turner, dem Polizist, der sie widerwillig zu Mordfällen hinzuzieht, denn mit ihrer Fähigkeit Geister zu sehen, hat sie ihm gegenüber einen klaren Vorteil. Sie kann die Toten fragen, was geschehen ist.

Die Darstellung der Geister - der Grauen - fand ich sehr gelungen. Bardugo vermittelt immer das Gefühl, dass Geister nicht besonderes wären. Für Alex, aus deren Perspektive wir ein Großteil der Geschichte erleben, sind sie das ja auch nicht - sie sieht sie schließlich immer. Sie sind (grausiger) Alltag.

Generell lebt das Buch von seiner Atmosphäre - ich habe das Campusleben gespürt, ich habe das düstere, dämonische gespürt und die Abgründe, die in Alex durch ihre Vergangenheit gerissen wurden, gelebt. Bardugos Charakere (alle auf ihre eigene Art mit einer Leiche im Keller) tragen viel zur düsteren Atmosphäre bei. Jede Figur hatte seinen Platz in Alex’ Dunstkreis, selbst das Kaninchen auf dem Cover. Jeder hatte mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen, doch keiner kämpfte wirklich allein. Alex’ Sarkasmus ist eine hervorragende Waffe gegen allzu viel Trauer und Lethargie und Leigh trifft die Figuren mit ihren Beschreibungen bis ins Mark. Ihre Wünsche,, Ängste, Träume und Abgründe - deshalb habe ich sie alle so ins Herz geschlossen.

„Wer die Hölle kennt“ ist kein flockiger College-Roman, seid gewarnt. Er ist blutig, moralisch zweifelhaft und folgt nicht immer einem linearen Plot. Aber durch Bardugos Stil, der so gut in die Yale-Welt passte, bin ich dem Kaninchen gern in gewundenen Schlangenpfaden in seinen Bau gefolgt und habe mich hinter jeder neuen Biegung orientiert, nur um den roten Faden vor mir leuchten zu sehen.

Während Alex in der ersten Hälfte noch mit der Planung beschäftigt ist und die Spannung nur hintergründig brodelt, zieht sie in der zweiten Hälfte merklich an. Na, ihr wisst schon, wohin es dann wahrscheinlich geht. Doch auch für die Unterwelt hat sich die Autorin einiges ausgedacht.

Am Ende wartet ein Cliff, der sich gewaschen hat. Und das von mir, die eigentlich keinen Schmerz damit hat, 100 Meter hoch über dem Abgrund zu baumeln. Doch hier? Nun - ich wüsste schon gern, wie es weitergeht!

„Wer die Hölle kennt“ ist nicht für schwache Nerven oder Mägen. Ich liebe Alex’ Art, all diese Höllen zu durchqueren und dabei trotzdem den Kopf oben zu behalten und freue mich auf den nächsten Band.