Was zählt ein Menschenleben?
Es ist ein brutaler, kalter Lebensraum, in die der renommierte Literaturschriftsteller Laurent Gaudé seine Leser einschleust. In dieser Welt der Zukunft lebt der Grieche Zem Sparak. Er ist einer der „Hunde", wie die unteren Ränge der polizeilichen Ermittler hier genannt werden. So abschätzig wie ihr Name lautet werden sie auch behandelt, ebenso wie alle anderen Menschen, die außerhalb der bevorzugten Zonen der Megastadt Magnapolis leben müssen. Zem hat die Aufgabe, gemeinsam mit Salia Malberg einen grausamen Mord aufzuklären. Doch je näher sie der Lösung kommen, desto gefährlicher wird das Unternehmen für beide…
Gaudés neuer Roman ist nur vordergründig ein Krimi. Die Konstruktion zweier Mordfälle und deren Ermittlung dienen meines Erachtens vor allem dazu, ein Klassensystem zu entlarven, das menschenverachtend und rücksichtslos vorgeht. Es geht um den Ausverkauf bankrotter Staaten,den Umgang mit Flüchtlingen und die Ausbeutung der Arbeitskraft von Menschen, die zum großen Teil abgestumpft dahinvegetieren und kaum Hoffnung auf Besserung haben.
Gaudé, bereits mehrfach für seine Romane ausgezeichnet, bedient sich eines klaren Schreibstils, der sich wunderbar lesen lässt. Sehr bildhaft schildert er die Handlung seiner Dystopie; besonders intensiv erleben wir das Chaos und die Verzweiflung, die in der Übernahme-Situation eines Staates (hier ist es Griechenland) herrschen. Allerdings bleiben seine Protagonisten Malia und Zem etwas spröde und distanziert, was aber durchaus zum Grundton der Geschichte passt.
Es ist erschreckend, wie wenig von dem bleibt, das wir als „menschlich" bezeichnen, wenn es um Macht- und Profitstreben geht. Dieses Horrorszenario einer möglichen zukünftigen Gesellschaft mag uns Lesern überspitzt erscheinen – aber die zahlreichen Anspielungen auf aktuelle Ereignisse, die vielen Leuten heute vielleicht als unbedeutend erscheinen, lassen aufmerken. Führt Gaudé hier konsequent - wenn auch romanhaft - unsere tägliche Realität weiter fort, wie sie sich in eine Dystopie entwickeln könnte?
In jedem Fall ein interessantes Sujet, das durchaus zum Nachdenken anregt.