Rezension

Beeindruckende Stimme zu Armut, Gewalt und Rassismus

Sekunden der Gnade -

Sekunden der Gnade
von Dennis Lehane

Bewertet mit 5 Sternen

Im Bosten von 1974 wohnt Mary Pat Fennessy mit ihrer Tochter Jules in Southie, einem überwiegend irisch geprägten Stadtteil. Als die Proteste gegen das Busing -  schwarze Kinder sollen mit Bussen in weiße Schulen gebracht werden und weiße Kinder in schwarze Schulen - losgehen, kommt Jules eines Abends nicht nach Hause. In größter Sorge beginnt Mary Pat die Suche nach der Tochter. Einzige Unterstützung findet sie bei Detective Bobby Coyne, der seinerseits nach Jules fahndet, weil er glaubt, dass sie in den Mordfall an Augie Williamson verwickelt ist.

Dieser Roman ist eine Wucht. Mit Mary Pat Fennessy als tragender Figur werden die durch Gewalt und Armut gekennzeichneten Lebensumstände in Southie gekonnt rübergebracht. Sie transportiert mit ihrer derben Sprache den Sound des Viertels direkt ins Herz der Lesenden, eine Gegend mit eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten, die sich fest im Griff einer Mafia befindet, wo Schutzgeldzahlungen und Drogenhandel an der Tagesordnung sind.

Dennis Lehane hat mich regelrecht reingezogen in seinen Roman, ich konnte nicht entkommen. Obwohl Mary Pat Fennessy überhaupt nicht meinen Vorstellungen, wie man sein Leben angeht bzw. wie man sich grundsätzlich verhält, entspricht, mochte ich diese mutige Frau sehr gern. Es ist nicht mal Mitleid, was da mitschwingt, sondern vielmehr Bewunderung für einen Gerechtigkeitssinn, der von Staats wegen nicht gewährleistet wird. Selbst die damit einhergehende Gewalt, die ich im hier und jetzt ablehne, konnte ich schon irgendwie nachvollziehen. Nach meinem Empfinden werden Urinstinkte bei der Leserschaft angesprochen, wodurch das Mitfiebern mit der Protagonistin entsteht. 

Der einnehmende Schreibstil des Autors lies mich den Roman locker weg lesen. Leicht ist der Roman trotzdem nicht, sondern teilweise wirklich schwer auszuhalten. Es ist eben keine reine Fiktion, sondern Teil der Wahrheit im 74er Boston. Man sollte also nicht zu zart besaitet sein. Besonders schwer zu ertragen, war für mich die Aufklärung des Titels.

Ingesamt bin ich schwer begeistert und kann den Roman nur empfehlen.