Rezension

Der blutige Weg in eine neue Zeit

Kinder des Meeres - Charlotte Lyne

Kinder des Meeres
von Charlotte Lyne

Bewertet mit 5 Sternen

Portsmouth 1509, beim Stapellauf der sagenhaften Mary Rose, des ganzen Stolzes König Henrys, passiert ein Unglück. Ein Junge kommt ums Leben.
Schuld daran ist der 8jährige Anthony, der schon immer anders war und jetzt auch noch den Stempel des Brudermörders tragen muss. Die einzigen, die unerschütterlich zu ihm halten, sind Fenella und Sylvester. Die Drei verbindet eine tiefe Freundschaft, kennen sich seit frühster Jugend und spielen auf der väterlichen Werft.

Sie sind ein außergewöhnliches Gespann: Die Schöne, der Edle und das Genie, die sich lieben, die aber auch ihr Leben lang versuchen, diese Liebe zu definieren. Artus, Lancelot und Guinevere haben es vorgelebt: Bruderliebe, die an der Liebe zur gleichen Frau zu zerbrechen droht, aber dennoch besteht, unglaublich tragisch aber auch schön und nicht immer leicht zu verstehen. Hier sind Ausnahmemenschen in Ausnahmesituationen.

In ihrer unnachahmlichen Erzählweise, auf sehr originelle Art gefühlvoll und poetisch, schildert Charlotte Lyne die Geschichte dieser Drei und malt gleichzeitig ein lebendiges Bild des Lebens in der Renaissance. Man will neue Wege beschreiten und muss dazu Traditionen aufbrechen, was bisweilen blutige Konsequenzen hat und so grausam sein kann, dass man sich fragt, ob Neues zwingend gut sein muss. Da stehen Katholiken gegen Protestanten und höfische Dekadenz gegen strenges Puritanertum, manchmal auch der Papst gegen den König. Im fernen Deutschland verbreitet Luther ketzerisches Gedankengut und übersetzt Tyndale die Bibel ins Englische. Wer gerade als Ketzer verdammt wird, hängt von der Gesinnung Henrys ab, der seine Überzeugung wechselt wie die Ehefrauen. Auch seine Geschichte wird hier erzählt. Wer war Henry VIII und wie ist er zu sechs Ehefrauen gekommen.

Es war ein Erlebnis, dieses Buch zu lesen, ein Wechselbad der Gefühle, Liebe und Freundschaft in dramatischen Zeiten, große und kleine Intrigen, verirrte Seelen, Machtspiele und auch eine Liebeserklärung an ein fabelhaftes Schiff. Den Aufstieg und Fall der Mary Rose kann man hier auch verfolgen, die, ganz Kind ihrer Zeit, gemäß widersprüchlicher Doktrinen gebaut und umgebaut wurde, bis sie schließlich unterging.