Rezension

Die Mary Rose setzt die Segel

Kinder des Meeres - Charlotte Lyne

Kinder des Meeres
von Charlotte Lyne

Bewertet mit 5 Sternen

Am 19. Juli 1511 läuft die Mary Rose vom Stapel. König Henry VIII ist höchstpersönlich angereist, um sein neues prachtvolles Schiff auf seiner ersten Fahrt zu erleben. Während der Feier kommt es zu einem fürchterlichen Unglück an dem der achtjährige Anthony eine Mitschuld trägt. Seitdem fürchten sich viele vor dem Jungen und behaupten, er hätte etwas Teuflisches, ja Unmenschliches an sich. Aber Fenella und Sylvester halten über die Jahre und alle Anfeindungen fest zu ihrem Freund. Dank Sylvesters Vater James Sutton ist es Anthony möglich, schreiben und lesen und später auch den Schiffsbau richtig zu erlernen. Seit dem Unglückstag ist sein sehnlichster Wunsch die Mary Rose einmal im Trockendock gründlich überholen und umbauen zu dürfen, da er wie kein anderer erkennt, welches Potential in diesem Schiff steckt.

Die Werftkinder werden erwachsen und Fenella und Anthony ein Paar. Aber das Leben hat noch einige schwere Prüfungen für die beiden parat. Und auch Sylvester, der eigentlich von Anfang an das Glückskind unter den dreien ist, wird vom Schicksal gebeutelt und bekommt nicht immer, was er sich so sehnlichst wünscht.

Die Geschichte spielt in einer  unruhigen Zeit. Henry VIII, durch seine vielen Ehefrauen hinlänglich bekannt, war kein einfacher Herrscher und wer sich in seinem Dunstkreis bewegte, lebte durchaus auch gefährlich. Dies galt nicht nur für seine Ehefrauen, von denen er zwei hinrichten ließ, sondern auch für seine engsten Berater und im weitesten Sinne sogar für sein ganzes Volk, welches er aus den Fesseln der katholischen Kirche in seine eigene reformierte Kirche führte.  Die drei Freunde sind mitten drinnen im Strudel der Ereignisse, werden von den politischen Wirren hin- und hergetrieben. Anthony trifft den König und muss miterleben, wie er von der Strömung erst ganz in die Höhe geschwappt wird, um dann in ein tiefes Tal gewirbelt zu werden, welches ihn bis in den Kerker führt. Sylvester wird ein guter Freund von Anne Boleyn, der zweiten Frau Henrys, und versucht Anthony und Fenella zu helfen. Mehr als einmal erweist er sich dabei als Retter in der Not.

Charlotte Lyne schafft es, ihre Darsteller so geschickt in die reale Historie einzuweben, dass es kein Entkommen für sie gibt und der Leser atemlos mittendrinnen steckt und ihre Nöte und Sorgen fast hautnah miterleben muss, ihre Schmerzen erahnen und ihr Glück schnuppern darf. Dabei erzählt sie mit Worten, die so kraftvoll und erdverbunden sind, wie es kaum eine andere dieses Genres schafft. Sie bringt den Geruch von Seefenchel und Salzwasser ebenso zwischen die Seiten, wie das Stöhnen der Spanten und das Schreien der Möwen, das einem scheinbar in den Ohren klingt. Ihre Figuren sind zum Teil sehr kantig und sperren sich gegen die flüchtigen Sympathien des Lesers. Sie fordern Verständnis und Geduld und belohnen dann mit einem tiefen Einblick in schillernde Menschenwesen, die so lebensecht sind, dass man sich am Schluss nur widerwillig mit der letzten Seite von ihnen trennen mag.

Am Ende dieses wunderschönen Romans war ich still und ergriffen, glücklich mit einer kleinen Träne im Auge. Die Mary Rose ist mit geblähten Segeln durch dieses Buch gekreuzt, in ihrer Bugwelle den störrischen Anthony, die treue Fenella und den Herzensbrecher Sylvester, aber auch einen oft glücklosen König und eine hinreissend Anne Boley. Ich werde sie alle vermissen.

Kommentare

Arietta kommentierte am 05. Februar 2015 um 17:44

Ich fand auch das Buch Wundervoll und Ergreifend . Wäre schön wenn es eine Fortsetzung gebe!

Wüsste gerne was aus Anthony und Fenella wird . Der Ausgang blieb ja offen...