Rezension

Deutschland im Schatten einer Katastrophe

Morgenland - Stephan Abarbanell

Morgenland
von Stephan Abarbanell

Im Jahre 1946 begibt sich die junge Lilya Wasserfall aus Palästina auf eine Reise mitten in das durch den Krieg zerstörte Deutschland, um nach einem jüdischen Wissenschaftler zu suchen. Der Bruder des Wissenschaftlers ist überzeugt, sein Bruder lebe noch und so schickt er Lilya nur mit einem alten Foto und einem noch viel älteren Buch nach Deutschland.

Lilyas Suche nach dem Wissenschaftler zeigt, dass oftmals der Weg das Ziel ist. Der Autor schildert eindrucksvoll und sehr lebhaft das chaotische Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg „im Schatten einer Katastrophe“, um es mit den Worten des Autors zu sagen.

Sobald man erst einmal in die Geschichte hinein gefunden hat, lässt sich diese gut und verständlich lesen. Zu Beginn jedoch hatte ich große Schwierigkeiten, überhaupt zu verstehen, in welcher Situation sich Palästina gerade befindet und worin der Konflikt zwischen den in Palästina lebenden Juden und den Briten besteht. Diese Geschichte setzt nämlich an einem völlig anderen Punkt an, als es Geschichten dieser Art normalerweise tun: Hier wird die Nachkriegszeit aus der Perspektive der palästinensischen Juden aufgerollt. Da der Autor jedoch am Ende des Buches einen kleinen, sehr informativen Anhang über den historischen Hintergrund angefügt hat, kann man die Zusammenhänge auch verstehen, ohne von vornherein bestens im Bilde über die Geschichte Palästinas zu sein.

Hat man also die ersten Anfangsschwierigkeiten von knapp 100 Seiten überwunden, so kann man sich auf die sympathischen und engagierten Charaktere konzentrieren, die selbst so orientierungslos sind und doch versuchen, einander Halt und Richtung zu geben. Auch Stephan Abarbanells Sprache sei an dieser Stelle besonders gelobt, da es ihm gelingt, wunderbar lebendige Bilder in unseren Köpfen zu erschaffen und Ausdrücke zu formulieren, die sich einem ins Gedächtnis einbrennen.

Alles in allem ist dies ein wirklich informativer, gehaltvoller und nachdenklicher Roman über das zerstörte Deutschland der Nachkriegszeit, das für den zwar geschichtsinteressierten, aber nicht vollumfassend informierten Leser geeignet ist. Man muss kein Student der Geschichtswissenschaften sein, um zu verstehen, was der Autor uns sagen will und das finde ich sehr wichtig. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise in Europa kann es spannend sein, sich vor Augen zu führen, dass es auch 1946 viele Flüchtlinge, viel Chaos und vor allem viel Orientierungslosigkeit in Deutschland gab. Dieser Roman ist in unserer heutigen Zeit noch immer erschreckend aktuell.