Die Wiederholungen der Revolution
Leser lieben Buchreihen – das Lesen fühlt sich an wie Nachhausekommen. Vermutlich geht es Autoren ähnlich. Die Gefahr besteht, dass die Entwicklung des / der Protagonisten stagniert oder keine neuen Facetten zeigt.
So weit sind Vargas und Adamsberg glücklicherweise nicht. Ihr fällt immer wieder etwas Neues ein, womit sie ihren Hauptdarsteller schmücken kann. Oder hat er früher bereits schnelle, detailgenaue Phantombilder gezeichnet, mit verschiedenen Masken, mit verjüngten Gesichtern?
Ein Können, das er in diesem Fall braucht, denn er sucht einen Mörder in einer unüberschaubaren Gruppe, die regelmäßig die Sitzungen der Nationalversammlung während der Zeit Robespierres nachstellt, sich dabei entsprechend der Zeit kostümiert und gebärdet, und weil eins der Verbrechen schon vor über zehn Jahren geschah.
Mit ein paar Motiven feiert man Wiedersehen: Ein Tier (in „Die dritte Jungfrau“ eine Katze, hier sogar ein Wildschwein), das sich wie ein Hund verhält, Zeichen, die auf einen Mord und gleichzeitig eine historische Epoche weisen („Fliehe weit und schnell“). Doch Vargas entwickelt einen anderen Kontext, so dass man ihr kein Recycling alter Motive nachsagen kann.
Leider hat Adamsberg ein Stück seiner „Magie Vargas“ verloren, ohne dass exakt zu fassen wäre, was genau. Passagenweise erscheint er als eigenbrötlerischer, in sich gekehrter und verwirrter Ermittler, so wie man auch andere kennt, und gerade von denen unterschied er sich bisher völlig. Weiterhin wird er „Wolkenschaufler“ genannt, doch diesmal bleibt der Name vage und beweist sich nicht. Trotzdem bleibt Adamsberg herausragend und besonders, obwohl in seinem Team zum ersten Mal Stimmung gegen ihn aufkommt und Danglard ihm nicht den Rücken stärkt.
Die Fälle, die Vargas entwickelt, stehen auf realistischem Boden, doch sie schaffen sich eine eigene Form der Wirklichkeit, die ins Phantastische gleitet, dabei aber in sich selbst logisch und stringent weitergeht. Zufälle und unglaubliche Entdeckungen gehören einfach in einen Vargas-Krimi.
Auch mit den Nebenfiguren überrascht die Autorin immer wieder. Personen mit seltsamen Hobbys, mit speziellen Eigenarten und individuellen Merkmalen bevölkern Paris und diesmal sogar Island.
Auffallend: Außer den weiblichen Polizistinnen, einer alten Haushälterin und Zeuginnen ohne nennenswertes Profil tauchen in diesem Buch keine Frauen auf. Ohne Frauen an seiner Seite oder auf der Gegenseite kann Adamsberg nicht den Schwerenöter und / oder Charmeur geben; ein Charakteristikum, das in diesem Buch fehlt. Und weiterhin fehlt Camille, die mit keinem Wort erwähnt wird, und mit ihr Adamsbergs Sehnsucht.
Aber Vargas-Krimis zu bekritteln ist Kritik auf hohem Niveau. Denn das Thema der französischen Revolution, der Robespierre-Verein und seine fanatischen Mitspieler sowie der Island-Trip Adamsbergs und die abergläubischen Fischer garantieren Lesespaß der Sonderklasse mit den unvermuteten Wendungen und den typisch Adamsberg’schen Haken.
Auch wenn der Krimi mit seinen 500 Seiten kein dünnes Buch ist, hat man es leider viel zu schnell gelesen. Und muss anschließend wieder mindestens zwei Jahre bis zum nächsten Band warten.