Rezension

Ein Krimi, der unter die Haut geht

Niemandsmädchen - Eva-Maria Silber

Niemandsmädchen
von Eva-Maria Silber

Bewertet mit 5 Sternen

Das Buch beginnt mit der Beschreibung eines Geburtsvorganges. Dann wird erzählt, was dem voraus gegangen ist.

Eine Frau war nachts mit dem Fahrrad gestürzt. Ein Passant rief den Krankenwagen. In der

Klinik hat Christina, diese Frau, dann ein kleines Mädchen geboren. Doch sie lehnt das Kind ab und kann sich an keine Schwangerschaft erinnern. Sie nennt das Baby Äffchen und nutzt die erste Gelegenheit, mit dem Kind heimlich das Krankenhaus zu verlassen. Sie kennt nur ein Ziel. Sie will zurück zu ihrem Ehemann, obwohl sie mit Prügeln rechnen muss. Die Ärzte fürchten um das Leben des Kindes und informieren die Polizei. Die hat aber gerade alle Hände voll zu tun, denn in Etzel explodieren Erdgaskavernen.

Die Autorin hat einen spannenden, aber auch bedrückenden Krimi geschrieben. Sie zeigt die Protagonisten in Extremsituationen. Es ist ihre Aufgabe, ein Kind zu retten – vor der eigenen Mutter.

Das Besondere an der Geschichte besteht darin, dass die Handlung sich in nur einem einzigen tag vollzieht.

Für die Suche nach dem Kind werden Staatsanwältin Leyla und Kriminalkommissarin Adams abgestellt. Beide haben ihr Päckchen zu tragen. Leyla leidet an einer Erbkrankheit, die zu Schwindelanfällen führt. Wegen ihrer Schwangerschaft verstärken sich die Syndrome. Bisher konnte sie ihre Probleme gut verbergen. Hinzu kommt aber, dass sich ihr Freund auf sehr kalte Art und Weise gerade an diesem Morgen von ihr getrennt hat.

Adams wurde nach einem Zwischenfall auf ihrer alten Stelle nach Etzel versetzt. Sie hat sich ihren beruflichen Weg hart erkämpft und steckt voller Vorurteile. Ihre beherrschende Art zeigt sich im Laufe der Handlung eher als Verdrängungsstrategie, denn als Charaktereigenschaft.

Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Die Geschehnisse rund um die Gasexplosion werden kursiv dargestellt. Die notwendigen Evakuierungsmaßnahmen bremsen die Aktionen der Ermittler aus und erhöhen so den Spannungsbogen. Die Autorin versteht es, ein umfassendes Bild von der Psyche ihrer Protagonisten zu zeichnen. Christinas blinde Abhängigkeit von ihrem prügelnden Ehemann und das völlige Fehlen von Schuldgefühlen sind Beispiele dafür. Ihr Kind ist für sie kein menschliches Wesen, sondern ein Störenfried, der beseitigt werden muss. Die medizinischen und psychologischen Hintergründe für diese Verhalten werden allgemeinverständlich erklärt und geschickt in die Handlung integriert. Gut gefallen hat mir, wie sich die Beziehung zwischen Leyla und Adams Stück für Stück ändern. Beide haben an diesem einen Tag eine Menge dazugelernt. Auch der Blick ins Gesundheitswesen fand mein Interesse.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Hier wird in einer fesselnden Handlung ein Thema konsequent aufgearbeitet, das man sonst nur als kurze Nachricht aus den Medien kennt. Gekonnt integriert wurden Zahlen und Fakten über verdrängte Schwangerschaften. Die Beschränkung auf die wenigen Stunden eines Tages komprimiert das Geschehen. Die Einbeziehung einer menschengemachten Katastrophe ist ein geschickter Schachzug, um den Fokus auf nur wenige Personen zu lenken und nicht ein Großaufgebot an Polizisten auf die Suche zu schicken.