Rezension

Eine Erschütterung

Gebranntes Kind sucht das Feuer -

Gebranntes Kind sucht das Feuer
von Cordelia Edvardson

Bewertet mit 5 Sternen

Das wahre Grauen benötigt keine Dramatisierung. Was Cordelia Edvardson als Ausschwitz-Überlebende hier im Rückblick auf ihr Leben nüchtern erzählt, gräbt sich in Mark und Bein, man möchte nicht glauben, dass Menschen so grausam sein können. 

Ein SS-Mann, der sie auf einem Ball herumwirbelt. Der Judenstern, der ihr die höhere Schulbildung verwehrt. Das tiefgreifende Gefühl, nicht dazuzugehören, anders zu sein. Die katholische und egozentrische Mutter und der Stiefvater, der sie schlägt. Die Deportation, die gleichzeitig den endgültigen Bruch mit der Mutter darstellt, wurde diese doch vor eine Entscheidung gestellt. Todesmärsche, die noch nicht so genannt wurden, die Menschen starben einfach. Die Arbeit als Schreibkraft für Josef Mengele, wie sie die Nummern der Personen notiert, die "aussortiert" werden, ins Gas geschickt. Szenen, die unfassbar sind, beschreibt Edvardson nüchtern, nennt sich selbst "das Mädchen", verzichtet auf jeden stilistischen Pathos und macht dadurch nur noch eindrücklicher: das hier sind Fakten, es war so.

Was mich nachhaltig bewegt, ist das Niemandsland, was sie beschreibt. Wie Ausschwitz ihr alles nimmt, Gefühle nicht mehr zu ihr durchdringen, eine Entmenschlichung, in der nur kleine Momente, in denen jemand mit ihr spricht, jemand sie wahrnimmt, daran erinnern, dass ihre Identität als Häftling A3709 nicht alles ist. Als Überlebende kann sie diese Erfahrung nicht mit dem beschaulichen Leben in Schweden übereinbringen. Sie wird aufgefordert zu vergessen und weigert sich. Erst Jahrzehnte später schreibt sie ihre Erinnerungen nieder, mit einer auch sprachlichen Intensität, die dieses kleine Buch zu einer Erschütterung macht. Das Nachwort von Daniel Kehlmann ordnet es als eines der großen Werke der Holocaust-Zeugenschaft ein und macht es umso unglaublicher, dass es nach der Erstveröffentlichung 1984 in Vergessenheit geriet. Denn es ist wichtig, das immer wieder zu hören: "Ja, so war es - und schlimmer - und schlimmer." (S. 107)