Rezension

Erschreckend realistisch

Turmschatten - Peter Grandl

Turmschatten
von Peter Grandl

Bewertet mit 5 Sternen

Eine neue Synagoge soll gebaut werden, was der Neonaziszene gar nicht gefällt. Der Geldgeber soll ein reicher Jude sein, der im „Turm“ lebt. Bei einem Überfall auf Ephraim Zamir, der zu der Zeit aber nicht im Turm ist, wird seine junge Haushälterin Esther von einem 13-jährigen Jungen erschossen. Ephraim gelingt es bei seiner Heimkehr, die drei Neonazis zu überwältigen und im Keller seines Turmes als Geiseln festzuhalten. In einer Videoschaltung werden die Zuschauer gebeten zu voten: Sollen die drei leben oder sterben?

In diesem Triller ist es kein Kommissar oder die Polizei, die hier Verbrecher jagen. Nein, ein alter jüdischer Mann bringt Udo Reinicke, Gottfried Wegener „Steiner“ und Karl Rieger in seine Gewalt und dazu, ihre Lebensgeschichte und ihre Ansichten per Liveschaltung vor einem breiten Publikum auszubreiten.
Es scheint so realitätsnah, dass dies alles vor meiner Haustüre passieren könnte. Die Menschen, die hier agieren wirken so menschlich und echt. Es ist so verstörend, den drei Männern zuzuhören bzw. in Rückblenden deren Lebensgeschichte zu erfahren. Es ist so interessant zu erfahren, was dazu geführt hat, dass sie zu dem wurden, was sie heute sind – Neonazis.
Die Rückblenden zu den einzelnen Lebensstationen zeichnen sehr genaue Bilder verknüpft mit Geschehnissen von damals. Ganz besonders im Gedächtnis von damals ist mir die Geiselnahme von Gladbeck aus dem August 1988 geblieben, die hier auch thematisiert wird.
Besonders schockiert hat mich in dieser Geschichte hier das Schicksal der jungen Esther Goldmann, die bei Ephraim Zamir ein neues Zuhause gefunden hat.

Das ganze drumherum um diesen Fall, die Geschichte von Architekt Jonas Behrens, der genau die Struktur und Bauweise des Turmes erklärt; die Geschichte von der jungen Bewährungshelferin Marie Stresemann; die Geschichte um den 13-jährigen Thomas Worch – alles gehört zusammen und alles macht den Roman zu einem für mich kaum zu glaubenden Konstrukt.

Peter Grandl beherrscht es grandios, Realität und Fiktion zu verbinden. Er lässt in meinem Kopf schaurige Bilder entstehen. Gerade in der heutigen Zeit, wo die AfD auf dem Vormarsch scheint und immer mehr Anhänger bekommt, sich die Anschläge häufen, wird auch die Person des Wilhelm Thielen sehr real.
Nach dem Ende der Geschichte, die so ganz anders daher kommt, als ich es mir die ganze Zeit vorgestellt habe, bleibe ich erst mal sprachlos zurück.

Für mich ist „Turmschatten“ eines der besten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Ein Buch, bei dem ich ein Kapitel nach dem anderen verschlungen habe. Ein Buch, dessen Einblicke in die menschliche Psyche mich teilweise verstört haben. Ein Buch, dessen Aktualität greifbar ist. Ein Buch, dass mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.