Rezension

Familienbande

Wir sind doch Schwestern - Anne Gesthuysen

Wir sind doch Schwestern
von Anne Gesthuysen

Gertrud, in wenigen Tagen 100 Jahre alt, ist auf den Hof ihrer deutlich jüngeren Schwester Katty gereist, die die Feierlichkeiten ausrichten wird. Mit dabei auch Paula, zwei Jahre jünger als Gertrud, und sie ist die einzige der drei Schwestern, die verheiratet war und eine eigene Familie begründet hat.
Gertrud war beinahe verlobt mit Franz, dem jüngeren Sohn auf dem Tellemannshof, auf dem sie nach so vielen Jahren ihren Geburtstag feiern wird. Franz ist aus dem Krieg nicht zurückgekehrt und Gertrud ist nie eine andere Verbindung eingegangen. Katty lebt auf diesem Hof, weil sie ihn vom älteren Bruder und Hoferben Heinrich nach dessen Tod übernommen hat. Zuvor hat sie mehrere Jahrzehnte als Hausdame und Sekretärin seinen politischen Aufstieg begleitet und auch befördert. Sie hat wohl mehr für Heinrich empfunden, aber ebenso wie ihre große Schwester Gertrud damals nicht standesgemäß für Franz war, genauso wenig ist Katty standesgemäß für den einflussreichen Hoferben. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hat er ihr den Hof dann nach seinem Tode um 1970 herum vermacht.
Bei Aufräumarbeiten im Zuge der Geburtstagsvorbereitungen findet Katty einen Ordner mit den gesamten Scheidungsakten von Heinrich, jede Generation hat immer wieder verfügt, dieser Ordner möge bitte ungeöffnet vernichtet werden, aber niemand hat sich daran gehalten. Auch Katty nicht – und jetzt beginnt sie darin zu lesen und sich detailliert an viele Begebenheiten zu erinnern. Auch der Vater der Autorin hat den Ordner in der Familie nicht verbrannt und somit als wesentliche Quelle für diesen Roman erhalten.
Im Wechsel erzählt Anne Gesthuysen aus den Tagen der Geburtstagsvorbereitungen, vom Verhältnis der drei Schwestern untereinander und einer seit Jahrzehnten beständigen Rollenverteilung. Sie erzählt aber auch von den Erinnerungen der drei Schwestern an Jugend, Kriegszeit und Wiederaufbau, vom Entstehen der Bundesrepublik und den ersten Wahlen für Land- und Bundestag. Heinrich Hegemann war schon früher als Abgeordneter in Berlin, jetzt nach dem Krieg engagiert er sich erneut und weiß sich stets der loyalen Mitarbeit von Katty sicher. Hat er eher das Ziel vor Augen, so ist Katty diejenige, die ihm die Wege dorthin ebnet und immer das richtige Fest mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit zu organisieren weiß.