Rezension

Fantastische Mystery abseits ausgetretener Pfade

Das Puppenzimmer - Maja Ilisch

Das Puppenzimmer
von Maja Ilisch

Pro:

Das Buch hat mich voll und ganz überzeugt! Mühelos hat es sich im Verlauf einer langen Zugfahrt in die Liste meiner Lieblingsbücher geschlichen, ein echtes Highlight. (Fast war ich froh, dass ein Unwetter meine Reise nachhause auf fünf Stunden ausgedehnt hat - da konnte ich wenigstens ungestört lesen!)

Es gibt viele Gründe, warum es mir gefallen hat - da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht bei der unglaublichen Originalität, mit der die Geschichte aufgebaut ist...? Wenn man den Klappentext liest (und dann auch die ersten Kapitel), fallen einem direkt typische Szenarien ein, die in vielen Fantasy-Romanen vorkommen: die Puppen sind bestimmt von Geistern besessen! Vielleicht ist unter dem Haus ein Friedhof? Die Geschwister Molyneux könnten Dämonen sein, oder gefallene Engel! Oder vielleicht Vampire? Sie werden ja immer als blass beschrieben... Ich will hier natürlich das Geheimnis nicht verraten, aber soviel kann ich sagen: zwar bedient sich die Autorin bekannter Mythen und fantastischer Kreaturen, aber in einer völlig neuen Konstellation. Das hätte ich nie erraten!

Sehr schnell baut sich Spannung auf: was geht in diesem Haus vor? Warum haben die Molyneux-Geschwister ausgerechnet Florence ausgewählt? Kann sie ihnen vertrauen, sind sie Freund oder Feind? Dazu kommt noch Florences aufblühende Beziehung zum Küchenburschen Alan, die sie vor den Herrschaften geheimhalten muss... So nach und nach erfährt man gerade genug über das Rätsel des Herrenhauses, um einen noch neugieriger zu machen, bis zur Auflösung!

Florence ist ein Charakter, der direkt einem Roman von Charles Dickens oder auch Jane Austens entsprungen sein könnte: das arme Waisenkind, das sich in einer harschen Gesellschaft voller Standesdünkel behaupten muss. Dabei hat sie jedoch ihren ganz eigenen Kopf, voller Träume und Wünsche, die für ihre Zeit durchaus keine gewöhnlichen sind. So wäre sie viel lieber eine Seiltänzerin als eine Dienerin in einem Herrenhaus... Die Autorin schildert das Mädchen facettenreich und glaubhaft, so dass man das ganze Buch hindurch an Florences Worten hängt und mit ihr bangt. Sie ist eine starke, aber dennoch gefühlvolle Persönlichkeit.

Die Herren des Hauses, die Geschwister Molyneux, sind rätselhaft und schwer zu erfassen. Violet ist so zuckersüß und einschmeichelnd, wie Rufus sarkastisch und herrisch ist, aber dabei hat man stets das Gefühl, dass sie etwas verbergen... Dazu kommt später noch deren Nichte, Blanche, die mal gedankenlos und selbstsüchtig ist, und mal mitfühlend und freundlich.

Der Schreibstil hat mir überwiegend gut gefallen und passte in Tonfall und Ausdruck auch gut zur Zeit, in der das Buch spielt (das frühe 20. Jahrhundert). Nur ab und an schlich sich ein Begriff ein, der für mich nicht recht zeitgemäß klang, wie z.B. "anstinken" oder "S***** haben". Die Autorin baut geschickt eine dichte Atmospäre voller unterschwelliger Spannung auf.

Ich bin mir nicht ganz sicher, warum das Cover zeigt, was es zeigt. Das Mädchen soll sicher Florence sein, die Puppe erklärt sich von selbst... Aber warum sind Florence und die Puppe im Wald? Ich kann mich an keine derartige Szene erinnern. Aber dennoch ist das Cover ansprechend und hat mich neugierig auf das Buch gemacht.

Kontra:

Ein Charakter, der im Laufe des Buches zwar immer mal wieder erwähnt wird, nimmt am Ende des Buches auf einmal eine ganz andere und viel gewichtigere Rolle ein. Mehr kann ich nicht sagen, ohne schon zuviel zu verraten, aber diese plötzliche Entwicklung konnte mich nicht so ganz überzeugen. Das tut der Geschichte an sich allerdings keinen Abbruch.

Das Ende hätte ich mir etwas ausführlicher gewünscht; ein paar lose Enden bleiben in der Luft hängen.

Zusammenfassung:

Wer Fantasy abseits der ausgetretenen Pfade mag, wird hier einen wahren Schatz entdecken! Spannend, anrührend, überraschend, das Buch hat viel zu bieten.