Rezension

Gerhart Hauptmanns letztes Lebensjahr

Wiesenstein - Hans Pleschinski

Wiesenstein
von Hans Pleschinski

"Wiesenstein" heißt das Anwesen, das sich der Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann hat bauen lassen. Hier sind viele seiner Werke entstanden, hier lebte er standesgemäß mit Diener, Sekretärin, Köchin, Gärtner und weiteren Bediensteten und empfing die jeweiligen Großen der Welt. Und hierhin möchte er zurück, als der Roman einsetzt: Es ist März 1945, er war zur Rekonvaleszenz in einem Dresner Sanatorium, und nachdem diese Stadt nun zerbombt ist, fährt der 82jährige Dichter mit seiner Entourage zurück in sein geliebtes Schlesien - der Front entgegen. Ist es klug, sich den Gefahren auszusetzen und dorthin heimzukehren, woher andere fliehen? Der Dichter und sein Haushalt erleben das Kriegsende, die Eroberung durch die russische Armee, die neuen polnischen Machthaber, die Flüchtlingsströme. Seltsam unberührt scheinen sie von den Schrecken, die die Nachbarn heimsuchen: Enteignung, Hunger, Vertreibung, Vergewaltigung, Mord. Was davon nehmen sie in ihrem großbürgerlichen Leben überhaupt zur Kenntnis? 

Hans Pleschinski bringt dem Leser in diesem Werk vieles nahe: Das letzte Lebensjahr Hauptmanns, einen Rückblick auf sein bisheriges Leben, viele Auszüge aus seinen Werken; ein Bild vom Untergang des Deutschen Reiches, das Elend der Vertriebenen, Angst und Grauen; dazu Gedankenanstöße darüber, welche verschiedenen Verhaltensweisen in dieser Zeit möglich waren. Das ist detailliert, genau recherchiert und sehr bildhaft dargestellt; als Leser kann ich mir dieses Leben gut vorstellen. Das führt dazu, dass mir Hauptmann nicht nahe kommt: Zu sehr sind ihm seine Privilegien selbstverständlich, zu wenig bezieht er Stellung. Als Autor hat er sehr unterschiedliche Werke verfasst: Sozialkritische wie das Drama "Die Weber", Komödien wie "Der Biberpelz", Nachdichtungen altgriechischer Tragödien; bei Beginn des Ersten Weltkriegs zunächst kriegstreiberische Zustimmung, später pazifistische Züge. Während der Nazizeit galt er als geschätzter deutscher Dichter, der Ehrungen gern entgegennahm, obwohl einige seiner Werke von den Nazis abgelehnt wurden. Dieses zwiespältige Verhalten wird im Buch deutlich; Pleschinski stellt es ohne weitere Kommentierung dar.

Sein Schreibstil ist dabei ausufernd und überbordend; ich habe den Eindruck, er passt sich im Stil seinem Protagonisten an. So ist manchmal nicht zu unterscheiden, was von Hauptmann, was von Pleschinski stammt, da sich einige Gespräche als Zitat erweisen. Das ist konsequent gestaltet von Pleschinski; der Leser taucht komplett in die Welt Hauptmanns ein. Distanz erlebt er dabei durch die Ansichten des neu eingestellten Masseurs, der zunächst in diese Lebenswelt eingeführt werden muss, sich aber immer mehr einfindet. Dieses Aufgehen habe ich allerdings gleichzeitig als sehr mühsam empfunden, denn der Schreibstil Hauptmanns/Pleschinskis war mir auf Dauer doch recht anstrengend.

Wer als Leser diesen manchmal salbadernden Stil aushalten (oder vielleicht sogar genießen?) kann, mag aus diesem gründlich rechertierten Werk viel über Hauptmanns Leben, Literatur und Geschichte erfahren.

P.S.: Durch puren Zufall habe ich dieses Buch direkt im Anschluss an Schädlichs Roman "Felix und Felka" gelesen. Die gleiche Zeit, ebenfalls das Leben eines Künstlers, aber eine völlig andere Lebenswelt und dazu passend ein ebenfalls völlig anderer Schreibstil.

Kommentare

Giselle74 kommentierte am 28. Oktober 2018 um 17:59

Schöne Rezension! DasBuch ist nach wie vor eines meiner Jahreshighlights...