Rezension

Geschichte kann so spannend sein!!!

Intrige - Robert Harris

Intrige
von Robert Harris

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt:
zum Ende des 19. Jahrhunderts wird Frankreich von einem Skandal erschüttert: der sog. Dreyfus-Affäre. Hauptmann Alfred Dreyfus wird verdächtigt, als Spion für die verhassten Deutschen zu arbeiten und geheimes militärisches Material an diese zu verschachern. Es kommt zu inem Prozess und einer schnellen Verurteilung. Dreyfus wird auf einer karge Insel verbannt, schwer bewacht und eigentlich sollte die französiche Regierung wieder zur Ruhe kommen ... Doch Oberstleutnant Georges Picquart, der während des Prozesses gegen Dreyfus der direkte Berichterstatter des Kriegsministers war und anschließend zum Leiter der sog. Statistik-Abteilung (= franz. Geheimdienst) aufsteigt, macht unschöne Entdeckungen: dass z.B. die Beweislage für eine Verurteilung von Dreyfus auf äußerst wackeligen Beinen steht; dass einige Dinge gar nicht so stattgefunden haben können, wie von Zeugen behauptet; ja, dass sogar Beweise bewusst gefälscht wurden - und dass jemand anderes der Verräter sein muss! Bei seinen Nachforschungen wird jedoch schnell klar, dass Picquart auf Widerstand aus den eigenen Reihen stößt. Offenbar will man keine genauere Untersuchung des Falles und versucht mit allen Mitteln, Picquart zur Aufgabe zu zwingen ...

Meinung:
Obwohl der Ausgang des Falles bzw. der Geschichte von vornherein klar ist, ist das Buch absolut spannend! Harris zieht seinen Roman wie einen Justizthriller auf: Gemeinsam mit Georges Picquart lernen wir mit seiner Beförderung zum Leiter des Nachrichtendienstes die Geheimdienstarbeit kennen. Da werden unzählige Personen bespitzelt, Spione in Privatwohnungen eingeschleust, Nachrichten entschlüsselt, es wird Post abgefangen, Abfall untersucht und fleißig Bericht erstattet. Was für Methoden da alles angewendet wurden! Und wie schnell man doch zu (voreiligen) Schlüssen kommt! Teilweise ist es erschreckend gewesen zu lesen, wir scham- und skrupellos Leute bespitzelt wurden. Und natürlich alles im Dienste der nationalen Sicherheit! Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass heute noch genauso gearbeitet wird, nur mit sehr viel perfideren und weitreichenderen Methoden!
Gleichermaßen erschreckend fand ich es zu lesen, wie sehr sich hohe Militärs und Regierungsbeamte sträuben und winden, dass die wahren Umstände der Affäre Dreyfus ans Licht kommen. Dann müsste man ja Fehler eingestehen! Die Verlogenheit und Doppelmoral gewisser Personen ist wunderbar herausgestellt worden!
Georges Picquart ist leider kein wirklicher Sympathieträger, was mich manchmal dazu veranlasst hat, der Geschichte ein wenig schwerfällig zu folgen. Ein wirkliches Privatleben hat er nicht und mir ist im Verlauf des Buches auch nicht klar geworden, ob ihm wirklich etwas an seinen Mitmenschen liegt. Zu tiefen, herzlichen Gefühlen scheint er mir nicht fähig (außer zu seiner Geliebten Pauline).
Auch die permanente Ich-Perspektive und die Verwendung des Präsens haben mir besonders zu Anfang den Start in die Geschichte erschwert. Etwas schade finde ich es im Nachhinein, dass keine andere Figur außer Picquart zu Wort gekommen ist. Gerne hätte ich mal in die Köpfe von Dreyfus, Gonse, Boisdeffre etc. geblickt und deren Sicht auf die Dinge gelesen!
Dass Dreyfus auch aufgrund seines Judeseins als Sündenbock dienen musste, weil der Antisemitismus in der Zeit durchaus salonfähig war, kommt leider auch ein wenig kurz.

Fazit:
Harris liefert mit "Intrige" einen spannenden historischen Justizthriller, in dem er detaillierten Einblick in die Geheimdienstarbeit des auslaufenden 19. Jahrhunderts gibt und der Verschwörung auf höchster Ebene minutiös nachgeht. Der Leser blickt allein durch die Augen des Protagonisten Picquart und erlebt so alle Einzelheiten und die langsame Erkenntnisgewinnung hautnah mit. Leider erweist sich diese Erzählperspektive als etwas beengt, zumal Picquart nun mal nicht der größte Sympathieträger ist.
4 von 5 Sternen