Rezension

Große Literatur, die unterhält, berührt und manchmal sehr weh tut

Unschuld
von Jonathan Franzen

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch ist die Geschichte von Pip Tyler und ihrer Familie - und es lohnt sich wirklich, in diese Welt einzutauchen. Nicht viele können so exzellent schreiben wie Jonathan Franzen und noch weniger bekommen es hin, eine komplexe Story so einleuchtend und unterhaltend zu präsentieren. Wer durchhält, wird zusätzlich mit einem formidablen Ende belohnt. Hauptsächlich in den USA angesiedelt, gibt es immer wieder Ausflüge in die DDR, gerade für deutsche Leser ist das sehr spannend.

http://www.zeit.de/2015/36/jonathan-franzen-unschuld

Vorneweg: Die Rezension von "Unschuld" in der "Zeit" hat mich maßlos gelangweilt und ich habe sie nicht zu Ende gelesen. Sie war auch viel zu lang. Sie macht Angst vor diesem Buch, ergeht sich in bedeutungsschwangerer Entschlüsselung großer Symboliken und vergisst zu erwähnen, wie klug und einfühlsam hier Menschen und ihre Lebenswege beschrieben werden. Genau das, was ich mir von einem großen Roman wünsche.

Schwere Kost? Ehrlich gesagt, war ich anfangs etwas ehrfürchtig und auch einfach faul und habe das Buch vor mir hergeschoben. Irgendwann habe ich dann einfach mal losgelegt und bin nicht mehr weggekommen.

Pip Tyler heißt eigentlich "Purity", so auch der amerikanische Originaltitel des Buches. Sie arbeitet nach dem Studium in einem Callcenter, das unter dem Deckmantel edlen Umweltbewusstseins rätselhafte Finanzprodukte feilbietet. Mit ihrer Mutter verbindet sie eine bizarre Beziehung, die darin gipfelt, das diese ihr nicht verraten will, wer ihr Vater ist. Warum das so ist und wie Pip sich auf die Suche macht, das treibt dieses Buch durch fast ein ganzes Jahrhundert und immer zwischen zwei Kontinenten hin und her.

DIe Zeit- und Handlungssprünge sind nicht ganz ohne, wer dran bleibt, erhält eine Fülle von spannenden, urkomischen und teilweise sehr dramatischen Sequenzen, die sich irgendwann zu einer ganzen, großen Geschichte zusammenfügen. Große Diamanten sind die Beschreibungen der Charaktere, Franzen macht sie lebendig und lässt sie mitunter ganz schön leiden. Die Schilderung einer langen, unglücklichen Liebesbeziehung mittendrin tut fast schon zu weh.

Philipp Roth hat gesagt: "Es gibt zurzeit 20 große Romanschriftsteller in den USA und der größte von ihnen ist Jonathan Franzen." Da hat der alte Mann recht.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 08. Oktober 2015 um 00:41

Es scheint als ob ich bald einen Jonathan Franzen lesen müßt.

Liddy kommentierte am 04. November 2015 um 10:06

Da führt kein Weg dran vorbei ;)

westeraccum kommentierte am 31. Januar 2016 um 16:19

Auf jeden Fall!

Eva Mareike Jansen ergänzte am 08. Oktober 2015 um 06:32

Exakt, Wanda, genau das dachte ich auch nach dieser warmherzigen Rezension. Danke dafür, Geert, denn die Ehrfurcht-Scheu-Phase hatte ich bis zu Deinen ermutigenden Zeilen auch!

Salome kommentierte am 23. Dezember 2015 um 11:12

Ich lese das Buch gerade, ich lese für meine Verhältnisse schon lange daran. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Mittlerweile bin ich bei fast 600 Seiten angelangt u im Großen u Ganzen gefällt es mir schon....aber nach 250 Seiten hätte ich am liebsten aufgehört. Mal schauen, was das Finale noch bringt. Bin vielleicht auch nicht die geeignete "Ansprechperson" für so ein Buch, denn bei mir ist Lesen so zum Abschalten..ich mag gerne Thriller und eben Bücher, wo man nicht zuviel nachdenken muss.