Rezension

Katz-und-Maus-Spiel mit Suchtpotenzial!

Death Note. Bd.1 - Tsugumi Ohba, Takeshi Obata

Death Note. Bd.1
von Tsugumi Ohba Takeshi Obata

Bewertet mit 5 Sternen

Bisher habe ich um die Mangaecke mit ihren krakenartigen, teilweise mehrere hundert Bände umfassenden (und deshalb leicht furchterregenden) Reihen immer einen dezenten Schlenker gemacht. Der speziellen Ästhetik (grellbunte Cover, große Kulleraugen) konnte ich bislang nichts abgewinnen. Und wie das so ist mit Vorurteilen gegenüber Fremdem - es bleibt einem eben auch fremd.
In die Serie "Death Note" von Tsugumi Ohba und Takeshi Obata wollte ich daher erst einmal vorsichtig reinschnuppern. Weil ich mir nicht sicher war, ob dieses Genre etwas für mich ist, habe ich mir nur das erste (von insgesamt 12) Bändchen an einem verregneten Samstag in der Bibliothek ausgeliehen. Eine Stunde später war ich eiligen Schrittes erneut auf dem Weg zur Bücherei, um mir schnellstens Nachschub zu besorgen.
„Death Note“ hat mich BEGEISTERT und begeistert mich noch immer. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber keinesfalls diese wahnsinnig fokussierte, mörderspannende Geschichte – ein Genremix, irgendwo zwischen Fantasy und Detektivroman. Anders, radikal und vor allem: verdammt genial!

„Death Note“ erzählt die Geschichte von Light, einem der begabtesten Schüler Japans, die große Hoffnung seiner Familie. Eines Tages findet Light das Death Note, ein magisches Relikt, das vom Todesgott Ryuk in die Welt der Menschen gebracht wurde. Wer in das Death Note den Namen einer Person schreibt, erhebt sich zum Richter über Leben und Tod, denn diese Person muss kurz darauf sterben. Light fasst den Entschluss, das Buch zum Wohle der Gesellschaft zu nutzen und die Welt von Verbrechern zu befreien. Innerhalb kurzer Zeit trägt er hunderte Namen in das Buch ein. Der Tod so vieler Gewalttäter ruft die Polizei auf den Plan – und mit ihr Japans besten Agenten, der nur unter dem Pseudonym L bekannt ist.
Es entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel zweier hochintelligenter Köpfe – auf der einen Seite Light, der überzeugt ist, richtig zu handeln, aber immer mehr Gefallen an der Macht des Death Notes findet; auf der anderen Seite L, der die Aktionen Lights teilweise ebenso kalt erwidert und getrieben wird von dem Ehrgeiz, jeden noch so kniffligen Fall zu lösen … was ihm bisher noch immer gelungen ist.

Die Prämisse ist von vorneherein so stark, dass ich nach wenigen Seiten emotional an die Geschichte gekettet war. Herz des Plots sind die schachzugartigen Überlegungen von Light und L, die versuchen, dem jeweils anderen einen Schritt voraus zu sein bzw. die Züge ihres Kontrahenten voraus zu ahnen. Auf diese Weise verringert sich kontinuierlich die Distanz zwischen beiden, was unheimlich fesselnd zu lesen ist. "Death Note" kommt dabei völlig ohne Kampfszenen und Action aus, überzeugt dafür mit überraschenden, klugen Wendungen und vielschichtigen unterschwelligen Fragen, die aufgrund ihrer immanenten Wertungsfreiheit viel Platz für eigene Überlegungen lassen.
Hatte ich zu Beginn die Befürchtung mit der besonderen Leseform von Mangas (von hinten nach vorne, von rechts nach links) Schwierigkeiten zu haben, stellte ich schnell fest, dass mir dies nicht nur problemlos gelang, sondern die Art der Rezeption, also die Haptik und der Vorgang des Lesens selbst (ähnlich wie bei guten Büchern und Filmen) komplett in den Hintergrund trat. Ich versank derart in der Geschichte, dass ich jede körperliche Wahrnehmung ausblendete und auf Unterbrechungen (zum Leidwesen meiner Umgebung) äußerst verstimmt reagierte.

Obgleich die zwei Hauptcharaktere beileibe keine Sonnenscheinchen sind und für ihre jeweiligen Überzeugungen buchstäblich über Leichen gehen, haben mich die durchdachten, messerscharfen Betrachtungen von L und Light mit beiden mitfiebern lassen. Einerseits zog mich alles auf die Seite der Gerechtigkeit, andererseits ist Light ein derart ausgebuffter Charakter, dass man innerlich den Hut vor der Figur zieht. Light ist ohne Zweifel ein kaltblütiger Mörder. Aber er ist auch ein wirklich heller Kopf und Teil einer normalen, netten Familie, deren Unwissenheit und Unschuldigkeit einem ein so qualvolles, seelischen Ziehen bereitet, dass man insgeheim hofft, ihnen möge der Schrecken der Erkenntnis erspart bleiben.

Wer aber Wert auf moralisch eindeutig handelnde Figuren legt, der sollte vom "Death Note" die Finger lassen. Denn natürlich gibt es viel herzloses Töten. In diesem ersten Band springen zwar ausschließlich Randfiguren über die Klinge, aber ich fürchte, das könnte sich ändern. Und doch lebt die Geschichte von genau dieser Art Radikalität. Der Inhalt richtet sich damit aber uneingeschränkt an ältere Jugendliche und Erwachsene. Die Altersempfehlung „ab 15 Jahren“ ist absolut angemessen.

Was die Zeichnungen angeht … habe ich weiter oben von grellbunter Optik und großen Kulleraugen gesprochen? Ts ts … da muss ich gleich mal zurückrudern. Die Zeichnungen sind in schwarz-weiß gehalten und die Augen nicht in der Weise überzeichnet, wie man dies vielleicht von Animes her kennt. Die Bilder sind häufig auf die Gesichter komprimiert, in denen sich die ganze Bandbreite der Emotionen spiegelt, so treffend, dass ich Mangas nun mit einem neuen Blick betrachte und gestern schon ganz andächtig in der Mangaabteilung eines Buchladens die Zeit vertrödelt habe.
Im Vergleich zu manch einem Comic gibt es nur wenig Text, so dass man die Geschichte zwischendurch ohne viel Aufwand wegsuchten kann. Mit wenigen Worten, soviel ausdrücken zu können ist – unabhängig davon - aber auch eine ganz erstaunliche Leistung.

Für Mangastarter ist "Death Note" eine gute Einstiegsserie, da sie bereits seit zehn Jahren abgeschlossen ist und mit 12 Bänden zu den kürzeren gehört – und zu den bekanntesten. „Death Note“ von Tsugumi Ohba und Takeshi Obata wurde bereits mehrfach in Japan für Film und Fernsehen adaptiert, eine Umsetzung durch Hollywood ist (natürlich!) ebenfalls geplant.
Ich bin aber erst mal noch mit der Mangaform der Geschichte beschäftigt und schon ganz fix und fertig, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie diese Wahnsinnsreihe, die alle paar Seiten mit einer haarsträubenden, immer glaubhaften Wendung daherkommt, wohl enden mag. Ich halte schlichtweg alles für möglich!

Fazit: Einfach nur WOW!

Nachtrag: Bei meiner Einschätzung des Textanteils, muss ich mich nach weiteren 7 Bänden korrigieren. Die Geschichte wird etwas textlastiger.