Rezension

Ohne Schatten gibt es kein Licht, man muss auch die Nacht kennen lernen. (Albert Camus)

Blankenese - Zwei Familien -

Blankenese - Zwei Familien
von Michaela Grünig

Bewertet mit 4 Sternen

1919 Hamburg. Der Halbjude John Casparius steht vor den Scherben seines Lebens, denn nicht nur der Krieg hat seine grausamen Spuren bei ihm hinterlassen, auch die gelöste Verlobung sowie die fast ruinierte Reederei seiner Familie. Als er eines Morgens an der Elbe jedoch der jungen Sattlerin Leni Hansen begegnet, schöpft er neuen Lebensmut. Obwohl die beiden aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammen, steht schon bald die Hochzeit ins Haus, was vor allem Johns wohlhabender Familie ein Dorn im Auge ist. Doch Leni setzt sich mit ihrer freundlichen Art alsbald im Casparius-Haushalt durch. Das glückliche Eheleben erhält bald einen Dämpfer, als John Kenntnis von den Vorwürfen der Hansen-Familie erhält, die seine Familie für den Tod von Lenis Vater geben und sich um Lenis Liebe betrogen fühlt. Er verlässt die eheliche Wohnung und lässt Leni allein bei seiner Familie zurück, um sich einzig auf das Geschäftliche zu konzentrieren. Kann diese junge Ehe noch gerettet werden?

Michaela Grünig hat mit „Licht und Schatten“ den Auftakt ihrer Blankenese-Saga vorgelegt, der nicht nur mit einem sehr gut recherchiertem historischen Hintergrund glänzt, sondern auch mit einem Mix aus dramatischen Familiengeschichten und Liebe unterhält. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser ins Hamburg des vergangenen Jahrhunderts reisen, um dort über einen Zeitraum von 20 Jahren die Geschehnisse um die Familien Casparius und Hansen hautnah mitzuerleben. Über wechselnde Perspektiven steht der Leser mal an der Seite von Leni, mal an der ihrer Mutter Irma und mal an der von John, wo er deren Gedanken- und Gefühlswelt gut erkunden kann und jeden von ihnen näher kennenlernt. Lenis Vater Gustav kam als Kapitän bei einem Schiffsunglück ums Leben, worunter die Familie Hansen immer noch leidet und die Reederei Casparius verantwortlich macht. Ausgerechnet Tochter Leni und Casparius-Erbe John verlieben sich ineinander, da sind Schwierigkeiten praktisch vorprogrammiert. Während die Jungvermählten ihre Probleme miteinander haben, verwebt die Autorin den historischen Hintergrund wunderbar mit ihrer Handlung. So bekommen die Nazis immer mehr Zulauf, deren rassistische Ideologien und Judenfeindlichkeit auch vor den Familien der Protagonisten nicht Halt macht. Vor allem aber ist es Grünig hervorragend gelungen, die Diskrepanz der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und ihren Standesdünkel aufzuzeigen. Gleichzeitig zeichnet sie mit Irmi Hansen das Bild einer hart arbeitenden Frau, die ihre Familie in Zeiten von großer Armut mit ihrem Lokal irgendwie durchbringen muss. Der Spannungsbogen wurde gemächlich angelegt, steigert sich aber immer mehr in die Höhe, so dass der Leser sich kaum von den Seiten trennen kann.

Die Charaktere sind liebevoll mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet und erlauben dem Leser, sich an ihre Fersen zu heften. Leni ist eine liebenswürdige junge Frau, die sich durchaus zu behaupten und andere für sich einzunehmen weiß. John ist ein sturer, bockiger Kerl, der lieber an Gerede glaubt, als sich selbst ein Bild zu machen, was ihm nicht gerade die Sympathien zufliegen lässt. Lenis Mutter Irma ist eine starke, mutige Frau, die hart arbeitet und sich trotz einiger Schicksalsschläge nicht unterkriegen lässt. Johns Schwester Felicitas wird Leni eine echte Freundin, auf die sie sich verlassen kann.

„Licht und Schatten“ unterhält mit einem gelungenen Mix aus Familiengeschichten, Geheimnisse, Liebe und einiges an Dramatik. Der historische Hintergrund ist exzellent recherchiert und lässt die Zeit nach dem 1. Weltkrieg in Hamburg wieder lebendig werden. Verdiente Leseempfehlung!