Rezension

Opulent und sprachgewaltig

Die Schlange von Essex - Sarah Perry

Die Schlange von Essex
von Sarah Perry

Bewertet mit 5 Sternen

England im viktorianischen Zeitalter. Die frische verwitwet Cora Seaborne zieht mit ihrem sonderbaren Sohn Francis und der Nanny Martha von London nach Essex. Durch den Tod ihres Mannes eigentümlich befreit will sie sich dem Gesellschaftsleben in der Stadt entziehen, um am Land naturwissenschaftlichen Studien nachzugehen. Doch in dem Küstenort Aldwinter scheint ein mysteriöses Wesen sein Unwesen zu treiben. Die Schlange von Essex, ein widerliches Fabelwesen wird für viele kleine und große Ungereimtheiten verantwortlich gemacht. Cora ist von der Aussicht fasziniert, ein unerforschtes Lebewesen kategorisieren zu könne, stößt aber beim Dorfpfarrer William Ransome auf Widerstand. Gleichermaßen im Streit wie in inniger Zuneigung bahnt sich zwischen den beiden eine ganz besondere Beziehung an.

Der Roman schildert den Kampf zwischen Glauben und Wissen, Religion und Wissenschaft. Wobei ich spannend gefunden habe, dass Cora, von der Existenz der Schlange überzeugt ist, der Pfarrer die Vorstellung allerdings als Hirngespinst darstellt. Aber auch die Gegenüberstellung von Armut und Reichtum findet in diesem Buch Platz. Der ewige Widerstreit zwischen Darwin, Marx und Gott.

Tiere sterben, Kinder verschwinden, jedes unerwartete Ereignis wird der Schlange zugeschrieben. Das Gerücht siegt über die Vernunft, die Geschichte ist damit auch eine wunderbare Parabel auf unsere Gesellschaft, die sich von fake news, alternativen Fakten irre leiten lässt.

Die Erzählung ist opulent und sprachgewaltig, verschlungen wie das wunderschön gestaltete Buchcover.

Jede Figur für sich ganz speziell gezeichnet. Auch die Liebe zu den Nebenfiguren, der Frau des Pfarrers, und deren Tochter, die angehende Sozialdemokratin Martha, Lucas, der Arzt in unerfüllter Liebe zu Cora, um nur einige zu nennen, ist vorhanden.

Cora ist zerrissen zwischen dem konventionellen Korsett der damaligen Zeit und ihrem unbändigen Drang, sich selbst zu verwirklichen, die Emotionalität geht ihr dabei verloren, sie erschient dem Leser mitunter als herzlos, ich würd es ihr als große Unsicherheit auslegen. Was sie nicht aussprechen kann, schreibt sie in unzähligen Briefen nieder, die oft eine ganz andere Cora zeigen.

William Ransome hingegen ist Marionette seines Glaubens. Moral und Treue stellen sich gegen Trieb und Verlangen.

Schade fand ich, dass wohl einiges an Pointen durch die Übersetzung verloren gegangen ist. Allen die Auswahl der Namen scheint mir allegorisch, die Koralle aus dem Meer geboren. Und als ein alter Mann im Sterben liegt und nach dem Pfarrer und (oder?) Erlösung ruft, war schon sehr gelungen.

Die Schlange von Essex ist ein sehr hintergründiges, facettenreiches Buch, das ich sehr gerne gelesen habe und wirklich empfehlen kann.