Rezension

Ein schmuckes Buch mit einem gar nicht so schmucken Inhalt

Die Schlange von Essex - Sarah Perry

Die Schlange von Essex
von Sarah Perry

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ein wunderschönes, nein, ein prächtiges Buch. Gebunden und mit einem schlangenhautähnlichen Material bezogen. Ein Lesebändchen, das schlangenzungenorange aus dem Buch züngelt. Ein Schutzumschlag in leuchtenden Farben mit geprägtem Schriftzug und dem namensgebenden Tierchen darauf abgebildet.

Ein wahres Schatzkästlein - aber birgt es auch einen Schatz?

"Anmutig und intelligent erzählt dieser Roman von der Liebe und den unzähligen Verkleidungen,in denen sie uns gegenübertritt" heißt es im Klappentext. Anmutig ist diese Geschichte tatsächlich geschrieben. Ich mochte den Erzählfluss, die Wortwahl, die Stimmungen, die Sarah Perry scheinbar mühelos zu schaffen imstande ist. Das Unheimliche und Dunkle, das die Ufer und Salzwiesen des Blackwater überschwemmt, die Hysterie eines ganzen Dorfes, die Wandlungen der Natur innerhalb eines Jahres, das alles erfüllt sie mit Leben, lässt es lebendig werden.

Intelligent geschrieben ist der Roman definitiv auch. Das ganze Wissen und Wirken des viktorianischen Zeitalters, eingewoben in einen Roman, unfassbar detailreich herausgearbeitet. Chirurgie, Wohnungsbau, Darwin, Sarah Perry weiß umfassend darüber zu berichten, jeder Satz birgt unzählige Informationen, unangestrengt, fast nebenbei.

Was ihr leider nicht mühelos gelingt, ist das Erschaffen von eigenständigen Charakteren. Hier erkennt man zu stark die Konstruktion, die Idee dahinter. Der leidenschaftliche Arzt und Wissenschaftler, der reiche Erbe auf der Suche nach Lebenssinn, die Kämpferin für bessere Lebensbedingungen in den unteren Schichten, der Pfarrer zwischen Glaube und Wissenschaft, die Ehefrau, die nett plaudernd, klug eine schützende Hand über ihre Familie hält, sie alle sind nur Abbilder des typischen Personals in den Gesellschaftsschichten ihrer Zeit. Und werden auch nicht über ihren Zweck hinweg zum Leben erweckt. Sämtliche Personen handeln seltsam gefühlsarm, allen voran die Protagonistin Cora Seaborne, die über Eigennutz hinaus scheinbar keine Regungen für andere entwickelt, sämtliche Personen bleiben gefangen in dem Zweck, der ihnen zugeschrieben wurde.

So bleibt dieser Roman distanziert, in sich abgeschlossen, ohne Verbindung zum Leser. Ich habe an keiner Stelle mitgeweint, -gelebt, -gelacht oder -gefiebert. Ich habe mich an Wortwendungen und Satzkonstruktionen erfreut, habe Landschaftsbeschreibungen bewundert und mich gewundert, dass manche Möwe mir lebendiger erschien als die Hauptpersonen. Aber: ich habe den Roman durchweg gern gelesen, denn sprachlich ist er meisterhaft komponiert, durchweg schlüssig konstruiert und erweckt eine Epoche zum Leben, da kann man leblose Einzelpersonen getrost übersehen.

Und worum geht es nun? Um das Universum und den ganzen Rest, um Liebe, Aberglaube, Wissenschaft und blaue Gegenstände, ja, vielleicht vor allem um blaue Gegenstände.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 14. Oktober 2017 um 18:25

Nicht zum Leben erweckt, gefangen im Erschaffungszweck, Abbilder und keine Eigenständigkeit - das hast du sehr, sehr gut ausgedrückt. Gute Rezension!

Giselle74 kommentierte am 14. Oktober 2017 um 19:39

Ein Lob von Wanda - das freut mich wirklich sehr. Danke!