Rezension

Roadtrip zum eigenen Ich

Umweg nach Hause
von Jonathan Evison

Bewertet mit 5 Sternen

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Benjamin (Ben) Benjamin (ja, das ist kein Tippfehler – der Gute heißt tatsächlich so) hat noch nie in seinem Leben etwas „Richtiges“ gearbeitet. Nach dem Studium hat er sich mit so schrägen Jobs wie Festwagen anmalen oder Muffins verkaufen über Wasser gehalten, bis seine Frau schwanger wurde. Da Janet Tierärztin ist, wurde er zum Hausmann. Bis dann ein schwerer Schicksalsschlag sein Leben komplett auf den Kopf stellte. Ben macht einen Crashkurs für häusliche Krankenpflege und landet bei Trevor, der eine Muskeldystrophie hat. Die beiden verstehen sich sehr schnell sehr gut und als gerade wieder alles schiefläuft und es Trev immer schlechter geht, machen sich die beiden mit einem Kleinbus quer durch die USA auf den Weg zu Bob, Trevs Vater. Ein Roadtrip, auf dem sie ganz besonderen Menschen, Orten und Situationen begegnen und der mehr bewirkt, als man ahnen konnte.

 

Von der ersten Zeile an merkt man, dass Ben kein Durchschnittstyp ist. Schnell erkennt man, dass noch viel mehr dahintersteckt und Ben etwas auf der Seele drückt, das dringend verarbeitet werden muss. Nach und nach kommt man hinter das Geheimnis und man ist betroffen, entsetzt, voller Mitgefühl und ebenso hilflos, wie Ben selbst. Doch Ben hat ja nicht aufgegeben, sondern etwas gesucht und gefunden, mit dem er aufarbeiten kann, was ihn belastet und gleichzeitig tritt er damit in das Leben anderer, die auf ihre Weise ihr Päckchen zu schleppen haben. Alle Protagonisten sind alles andere als Durchschnittstypen und gerade das macht aus diesem Buch etwas Besonderes, denn alles passt, alle Personen sind wichtig, alle Ereignisse müssen ganz genau so sein – ob sie nun schmerzen oder erfreuen.

 

Jonathan Evison lässt Ben die Story aus seiner Sicht in der Ich-Form erzählen. Das zieht mich persönlich direkt ins Geschehen hinein, da ich das Gefühl habe, er erzählt mir, und nur mir, diese Geschichte. Dabei verschont sich Ben nicht wirklich, auch wenn er nur in kleinen Schritten an die eigentliche Katastrophe herangeht – aber im Laufe des Buches wird klar, dass wir Ben nicht drängen dürfen und er ganz allein alles erzählen muss. Wunderbar wird dabei klar, dass man anderer Leute Leben schon allein damit beeinflusst, dass man in ihnen auftaucht – und dass jeder einzelne Mensch wichtig ist, für irgendwen und für die ganze Welt. Und genauso unwichtig ist auch jeder einzelne Mensch – denn ob mit oder ohne uns, die Welt dreht sich weiter. Trotzdem gibt es immer ein zu Hause, zu dem wir gehen und zu dem wir gehören.

 

Trevor macht es einem zunächst auch nicht wirklich einfach, ihn zu mögen. Doch genau so, wie Ben sich verhält, sind Menschen mit unheilbaren Krankheiten im realen Leben sehr oft: sie werden zynisch, provozieren, lassen ihren Frust gern an völlig Unbeteiligten aus. Aber Trev trifft auf Dot und sie bewirkt, dass Trev sein wahres Ich zeigt und erkennt, dass das Leben auch für andere nicht immer rosig ist und auch für ihn Glücksmomente bereit hält.

 

Der Erzählstil ist flüssig zu lesen, die Kapitel sind recht übersichtlich und immer mit passenden Überschriften versehen. Einen ganz speziellen Höhepunkt gibt es nicht, aber immer wieder Spannungsspitzen und „kleine Höhepunkte“. Dadurch hat mich das Buch von Anfang bis Ende in seinen Bann gezogen und absolut gut unterhalten. „Umweg nach Hause“ hat mich sehr berührt und es hallt auch noch immer in mir nach. Das mag ich sehr und macht Bücher zu „Herzensbüchern“ für mich.

 

Ja, das Buch ist streckenweise sehr traurig, aber es macht tatsächlich glücklich. Vielleicht muss man ganz einfach ab und zu ganz weit von zu Hause weg, um wieder nach Hause zu finden. Von mir bekommt „Umweg nach Hause“ jedenfalls volle fünf Sterne und eine absolute Leseempfehlung! Und eine Bitte: nicht mit anderen Büchern mit ähnlichem Thema vergleichen – einfach nur lesen und genießen!

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