Rezension

Schade, kein würdiger Abschluss

Der Glanz der Dunkelheit - Mary E. Pearson

Der Glanz der Dunkelheit
von Mary E. Pearson

Bewertet mit 2 Sternen

Dass es sich in der Originalsprache eigentlich um eine Trilogie handelt und man im Deutschen den letzten Band aufgeteilt hat, hat man leider deutlich gemerkt und die Teilung hat der Geschichte nicht unbedingt gut getan. Man ist zwar sofort wieder im Geschehen drin, aber es fehlt der individuelle Handlungsstrang, die konkrete Struktur, die diese Erzählung zu einem eigenständigen Roman macht. Auch wenn das Buch rund 450 Seiten fasst, liest es sich eher wie ein etwas ausufernder Epilog, der schnell alles zu einem Ende bringen will und versucht alle zuvor angerissenen Themen zusammenzubringen und abzuhaken.
Besonders auffällig ist dies bei den Textausschnitten, die manchmal den Kapiteln vorangestellt werden und indirekt mit den Entstehungsgeschichten der einzelnen Königreiche oder Prophezeiungen zusammenhängen. Eigentlich haben mir diese Passagen immer gut gefallen, da sie zum Nachdenken über Gründungsmythen von Nationen und allgemein das Geschichtsbewusstsein anregen, denn gerade in der heutigen Zeit ist es (auch für Jugendliche) wichtig, sich mit der nationalen Identität auseinanderzusetzen. Allerdings habe ich vergeblich darauf gewartet, dass noch ein konkreter Handlungsbezug hergestellt wird, abgesehen davon, dass Lia diese Texte übersetzt.
Und so wie hier ging es mir noch mit vielen anderen Aspekten der Geschichte: Dinge, die so lange vorbereitet wurden, auf die so lange hingearbeitet wurde, wurden einfach innerhalb einer Seite ohne viel Tiefgang abgehandelt und aufgelöst. Beispiele hierfür sind die Konfrontation von Lia mit ihren Eltern, aber auch das Widersehen mit ihren Freunden aus Terravin, die Geburt von Paulines Kind, das geplante Überführen der Verräter und auch der entscheidende Kampf. Es wird zwar alles erwähnt, aber überhaupt nicht ausgestaltet, nur so lieblos hingeschrieben, als würde Pearson endlich fertig werden wollen und hätte ein Seitenlimit einzuhalten.
Abgesehen von der Handlung hatte ich inzwischen aber auch einige Probleme mit den Charakteren. Zum Einen, weil abgesehen von der Protagonistin Lia keine der Nebenfiguren mehr richtig ausgestaltet wurde. Rafe ist jetzt zwar König und hat ab und zu etwas Text, aber was zu sagen hat er nicht. Er tanzt nach Lias Pfeife, steckt stets für sie zurück und eilt zu ihrer Rettung herbei. Kann man zwar romantisch finden, aber in meinen Augen ist er einfach nur schwach geworden. Seine Freunde und Berater dagegen, die noch im zweiten Band eine so wichtige Rolle gespielt haben, wurden nun einfach zu Statisten degradiert, die nichts zum Fortgang der Handlung beitrugen und komplett überflüssig wirkten -die typischen Bauernopfer. Das Potenzial, welches diese Figuren gehabt hätten, ist gnadenlos und unnötig verschenkt worden. Ähnlich verhielt es sich bei dem einstmals starken, wenn auch ambivalenten Attentäter Kaden, der zuvor mein Lieblingscharakter war. Auf einmal ist er geläutert, wirkt manchmal gar wie ein weinerlicher kleiner Junge und baut plötzliche neue Beziehungen auf.
Generell ist alles inzwischen zu stark auf Lia fokussiert -klar, sie ist die Hauptperson, aber Nebencharaktere und deren Ausgestaltung sind auch wichtig und machen doch eine Geschichte erst lebendig. Pearson allerdings gibt ihnen hier kaum Raum sondern stellt Lia stets in den Mittelpunkt und als absoluten Übermensch dar. Sie ist die vom Universum Auserwählte, die in einer Prophezeiung Erwartete, ein Heilsbringer gleich Jesus. Dabei führt sie sich auch andauernd wie ein Moralapostel auf, tritt für Gleichberechtigung von Völkern und Geschlechtern ein, gegenseitiges Verständnis und Zusammenarbeit. Und alle haben plötzlich ein Einsehen! Ich lese zwar gerne von starken Frauenfiguren, aber ich bevorzuge auch etwas Realismus. Ein Mädchen, dass ohne Ausbildung plötzlich problemlos über militärische und wirtschaftliche Belange entscheidet, den totalen Durchblick hat und für jedes Problem -größtenteils dank übersinnlicher Eingebungen- eine Lösung findet, kann ich irgendwie nicht so ganz ernst nehmen. Gerade in einem Jugendbuch sollte meiner Ansicht nach dargestellt werden, dass man sich Dinge erarbeiten und vor allem viel lernen muss und nicht, dass einem alles in den Schoß fällt und alles schon gut wird, wenn man nur macht, was man selbst für richtig hält. Abgesehen davon hat sie auf einmal gar nicht mehr mit ihrer Identität zu kämpfen. Sie akzeptiert, dass sie nicht sein kann, wer sie sein will und jemand anders werden muss, als sie schon ist… Nun ja. Diese Akzeptanz von dem Kreislauf der Geschichte und der Wiederholung des Schicksals steht im Widerspruch zu den andauernd auch von Lia angepriesenen Wahlmöglichkeiten: „Die Wahl zu haben ist ein mächtiges Geschenk und kann zu großem führen – aber dieses Geschenk darf nicht in den Händen einiger weniger liegen.“ (S. 421)