Rezension

Spannender Roman über ein Familiengeheimnis

Die verlorene Zeit - Michelle Ross

Die verlorene Zeit
von Michelle Ross

Bewertet mit 5 Sternen

Wer den Roman „Die verlorene Zeit“ von Michelle Ross liest, reist mit der Amerikanerin Dinah gedanklich von der heutigen Zeit in den englischen Landstrich Cornwall  in eine Zeit von vor über 100 Jahren. Das Cover erinnert entsprechend mit Vögeln und Blumen an ein Leben auf dem Land in einer Gegend mit viel Grün. Der Titel des Buchs bezieht sich auf ein verloren gegangenes Wissen über ein großes Geheimnis in Dinahs Familie.

In Los Angeles 2012 lebt die 24-jährige Dinah zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem Haus, das ihre Vorfahren vor über 100 Jahren erbauen ließen. Dinahs Vater ist Anwalt und so erfolgreich als Politiker, dass er als Senator nach Washington gehen soll. Dinah hat nach ihrem Schulabschluss einige Versuche in Richtung Studium und Beruf gemacht, sich aber noch nicht wirklich für etwas begeistern können. Sie lebt auf Kosten ihres Vaters, der dafür von ihr verlangt für ihn in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Dieser Pflicht widersetzt sie sich regelmäßig.

Nachdem der Umzug nach Washington beschlossen wurde, soll das Haus verkauft werden. Ein Anflug von Sentimentalität überkommt Dinah und sie flüchtet vor potentiellen Käufern auf den Dachboden. Dort findet sie beim Stöbern in einer alten Truhe Zeitungsausschnitte, die über die Hinrichtung einer jungen Frau und einem Riesenskandal im britischen Hochadel im März 1904 berichten. Auf einem Foto ist die Mörderin abgebildet, die eine Kette trägt, welche Dinah als Schmuckstück erkennt, das in der Familie immer an die älteste Tochter der jeweiligen Generation  weitergereicht wird und daher momentan in ihrem Besitz ist. Von da an gibt es für sie kein Halten mehr, auch gegen den ausdrücklichen Wunsch der Eltern die die politische Karriere des Vaters durch das Aufdecken unerwünschte Wahrheiten nicht gefährden wollen, die Geschichte hinter den Berichten und dem Foto zu enthüllen.

Jeweils mehrere Kapitel des Romans gehören zu größeren Buchabschnitten, die zwischen der heutigen und damaligen Zeit wechseln und entsprechend bezeichnet sind. Die Geschichte wird in einem leicht zu lesenden Schreibstil erzählt. Die Beschreibungen lassen den Leser eintauchen in das hektische San Francisco, dem bereits um die Wende des 20. Jahrhunderts quirligen Südfrankreich und dem damals wie heute eher beschaulichem Cornwall. Dank guter Recherche lässt Michelle Ross ein glaubhaftes Bild der Lebensumstände sowohl der Arbeiterklasse wie auch des Adels zur damaligen Zeit entstehen. Es gelingt ihr aber auch ein Abbild der heutigen Ansprüche der Gesellschaft an einen Politiker zu zeichnen und damit einen gelungen Hintergrund für Dinahs Handeln zu schaffen.

„Die verlorene Zeit“ ist einen spannender Roman, der seine Geheimnisse erst auf den letzten Seiten des Buchs vollends aufdeckt. Während ihrer Nachforschungen lernt Dinah aber nicht nur ihre Umgebung und die Menschen in Cornwall immer besser kennen, sondern entwickelt sich selber auch weiter. Auf der Suche nach der jungen Frau, die hingerichtet wurde, begegnet Dinah Personen, die auf ihre Fragen unfreundlich reagieren und die Vergangenheit schlafen lassen wollen. Für den Leser ergibt sich zunächst ein verwirrendes Bild, aber bei Fortschreiten der Erzählung lassen sich einige Charaktere besser beurteilen. Auf diese Weise konnte ich miträtseln, warum sich einige Personen so und nicht anders in der jeweiligen Situation verhielten. Mir hat das Buch daher sehr gut gefallen und gerne gebe ich hierfür eine Leseempfehlung.