Rezension

Tiefe Einblicke in die Welt der Prostitution

Magdalena 24h - Magdalena Nirva

Magdalena 24h
von Magdalena Nirva

Bewertet mit 3 Sternen

Magdalena Nirva ist natürlich ein Pseudonym, denn die Autorin möchte sich weder mit der bulgarischen Mafia noch mit ehemaligen Kunden anlegen, die teilweise in hochrangigen Positionen tätig sind. Sie schildert hier eindrücklich ihr Leben als Escort-Girl, zuerst in ihrer Heimat Bulgarien, dann später in Wien und letztlich Berlin. Sie tut dies schonungslos offen, geht ins Detail, auch wenn diese nicht immer schön zu lesen sind (z. B. Sex mit einem fast 100jährigen, detaillierte Beschreibungen von Körpersekreten).

Wer also hofft, dass hier alles ein bisschen hübsch umschrieben und harmlos dargestellt wird, wer keine explizite, teils vulgäre Sprache lesen möchte, der sollte sich die Lektüre nochmal überlegen. Es ist auch kein erotischer Roman, sondern es geht zur Sache, wie das nunmal so ist, wenn man seinen Körper für Geld verkauft. Es gibt durchaus anregende Szenen, denn die Autorin hat in ihrem Beruf zum Glück auch viele anständige Kunden, denen es wichtig ist, dass auch sie zu ihrem Vergnügen kommt. Aber natürlich gibt es auch viele unangenehme Begegnungen.

Und die Autorin beschönigt nichts. Sie jammert nicht. Sie sieht sich nicht in der Opferrolle. Das fand ich sehr bewundernswert. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man diesen Job psychisch und vor allem körperlich in diesem Ausmaß über Jahre hinweg leisten kann. Die "24h" im Titel kann man ruhig wörtlich nehmen. Natürlich ist Magdalena auch zu Hause, ruht sich aus, aber sie ist wirklich auf Abruf rund um die Uhr verfügbar, kommt auch ab und zu an ihre Grenzen, aber beißt sich durch.

Das Escort-Gewerbe ist einträglich, an manchen Tagen hat Magdalena vierstellige Einnahmen. Als in Deutschland der Escort-Service alleine nicht mehr genug abwirft, arbeitet sie noch zeitweise parallel im Bordell und macht sogar einen (einmaligen) Ausflug in die Pornoszene.

Zu Gute kommt ihr natürlich, dass sie seit jeher viel Freude an Sex hat und dieser auch privat für sie eine enorm wichtige Rolle spielt. Ich musste schon schmunzeln, als sie erwähnt, dass sie auch nach fünf bis zehn Freiern am Tag noch mindestens einmal täglich Sex mit ihrem Freund braucht, und dass IHM das irgendwann zu viel wird und er sie als Nymphomanin beschimpft. Der gleiche Gedanke kam mir tatsächlich auch, da sie auch privat ständig Sex haben muss und auch mit Freunden und Bekannten gerne kleine Orgien feiert. Aber jedem das Seine, und es ist ja auch schön, wenn sie ihren Job richtig gerne macht. Viel zu viele Frauen werden zur Prostitution gezwungen, während sich die Autorin bewusst für diesen Beruf entschieden hat, wenngleich die äußeren Umstände sie natürlich auch in diese Richtung geschubst haben.

Der Schreibstil ist kurzweilig, die Autorin schreibt umgangssprachlich in eher leichter Sprache. Man kann sich das Geschriebene so auch gut als mündliche Erzählung vorstellen. Das ist zwar nicht wahnsinnig eloquent, aber dadurch ist das Buch angenehm und flott zu lesen. Lediglich die Grammatik- und Rechtschreibfehler, die im Verlauf der Geschichte leider zunehmen, stören ein bisschen. Vielleicht sollte hier nochmal jemand drüberschauen.   

Nun aber zu meinen Kritikpunkten. Diese liegen in erster Linie in der Person der Autorin, was vielleicht grenzwertig scheinen mag, da es sich hier um eine Autobiographie und nicht um die Erzählung einer fiktiven Person handelt. Aber es hat für mich den Lesegenuss duchaus beeinträchtigt, deshalb werde ich es hier auch erwähnen.

Ich kenne die Autorin nicht persönlich, aber so wie sie sich selbst im Buch darstellt, war sie mir doch ziemlich unsympathisch. Hier muss man auch dazu sagen, dass der Erzählstil sachlich-nüchtern ist. Magdalena Nirva ist tough, und das muss sie auch sein. Wer in diesem Job arbeitet, kann sich keine Schwächen erlauben. So kommt sie auch in ihrem Erzählstil rüber. Emotionen gibt es hier wenige, eher nüchterne Betrachtungen. Es gelang mir nicht, zu der Protagonistin irgendeine Bindung aufzubauen. Ich empfand weder Mitleid noch Sympathie.

Natürlich, sie hatte eine bescheidene Kindheit mit Schlägen und emotionaler Kälte. Sie musste lernen, dass man in ihrer Heimat mit legaler Arbeit nicht für eine Familie sorgen kann. Dass sie ohne genügend Schmiergeld keine Prüfungen an der Uni ablegen kann. Im Endeffekt ist sie ein Produkt der frauenfeindlichen, sozial ungerechten Welt, in der sie aufgewachsen ist. Ich kann voll und ganz verstehen, warum sie, die sowieso viel Spaß am Sex hat, diesen Weg gewählt hat. Ich verstehe es auch bis zu einem gewissen Grad, dass sie Männer, die ihr "erliegen", finanziell ausnutzt. Letztendlich ist es ja ein Geben und Nehmen.

Es gab jedoch einige Dinge, die ich nicht nachvollziehen konnte. Sie schreibt selbst, dass sie schon als Teenager ein ganz schönes "Früchtchen" war. Diesen Eindruck hatte ich auch bis zuletzt. Auch privat liebt sie den Sex, sie liebt es zu verführen. Es stört sie nicht, wenn die Männer vergeben sind und sie eine Familie auseinanderreißt. Sie verfällt den Männern, mit denen sie eine Beziehung/Affäre hat, schnell und heftig, spricht sofort von Liebe. Jedoch beurteilt sie einen Mann vor allem nach drei Kriterien: Wie gut er im Bett ist, wie gut er ihr optisch gefällt, wie gut er für sie sorgen kann.

Aber ich glaube ihr, dass sie diese Männer auf ihre Weise wirklich liebt. Sonst hätte sie sich z. B. auch nicht so lange von ihrem Freund und gleichzeitig Zuhälter Eagle ausnutzen lassen, der nichts weiter tut, als sie zu Terminen zu fahren und ansonsten zu Hause die Eier schaukelt, ihr mächtig zusetzt, wenn sie nicht genügend Geld mit nach Hause bringt, sie selbst in ihrer kargen Freizeit nötigt, doch noch mehr zu arbeiten. Man denkt erst, sie bleibt aus Angst bei ihm, aber nein, sie will ihm gefallen, will mit ihm ein gutes Leben aufbauen, sie tut es aus Überzeugung.  

Was ich auch nicht so gut fand: Sie hat einen kleinen Sohn, tut alles, um ihm nicht dem Vater geben zu müssen, der ihrer Meinung nach nicht gut für ihn sorgen würde (moralisch gesehen, nicht finanziell). Als sie dann aber das Angebot erhält, mit Eagle nach Österreich zu gehen, um dort hoffentlich das große Geld zu machen, und sie keinen findet, zu dem sie den Sohn geben kann, bringt sie ihn doch zum Vater. Dort lebt er dann jahrelang (und vielleicht noch immer, das bleibt offen) und man erfährt nichts mehr über ihn. Sie erwähnt gelegentliche Besuche in einem beiläufigen Satz, aber wie es dem Kleinen geht und wie die Bindung zur Mutter aufrecht erhalten wird, darüber wird leider nichts berichtet. Ich weiß nicht, ob die Autorin ihren Sohn einfach aus der Geschichte heraushalten will oder ob er wirklich eine untergeordnete Rolle spielt. Man weiß nur, dass sie finanziell für ihn sorgt, mehr nicht. Es fällt sogar einmal die Anmerkung, dass sie mit Eagle ein weiteres Kind zeugen möchte, welches dann ebenfalls nach Bulgarien (zur Oma, die sich schon nicht um das erste Enkelkind kümmern wollte) gebracht werden soll, damit Magdalena weiterhin als Prostituierte in Deutschland arbeiten kann. Ein solches "Familienkonzept" mutet doch etwas seltsam an.

Auch dass sie ständig erwähnen muss, wie schön und schlank sie ist und wie hässlich und dick die anderen Frauen, hat etwas seltsam angemutet. Und dann lässt sie sich tatsächlich mit Mitte/Ende 20 von Kopf bis Fuß operieren, weil sie - ihrer Meinung nach - ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat. Natürlich ist Aussehen in diesem Business wichtig, aber das alles kam mir schon sehr übertrieben vor.

Zudem hatte das Buch für mich einige Längen und war manchmal etwas unübersichtlich, da die Autorin öfter mal zeitlich hin- und herspringt.

Alles in Allem liefert Magdalena Nirva einen intimen, tiefen Einblick in die Welt der Prostitution, der trotz meiner Kritikpunkte durchaus interessant und spannend ist. Wie es der Autorin heute geht, bleibt bewusst offen, da sie sich eine Fortsetzung vorbehalten möchte.