Rezension

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Über die Liebe in Zeiten der Adoleszenz…​

Das Licht und die Geräusche - Jan Schomburg

Das Licht und die Geräusche
von Jan Schomburg

Johanna liebt Boris, Boris liebt Ana-Clara und ob Ana-Clara überhaupt etwas fühlt, da ist sich Johanna nicht so sicher. Über ihre Freundschaft zu Boris, der vor kurzem mit seiner Familie aus Portugal zurückgekommen ist und in ihre Klasse geht, sagt Johanna: „Manchmal verstehe ich nicht, was Boris und ich eigentlich für eine Beziehung haben, und außer dass wir uns nicht küssen und nicht Händchen halten und nicht zusammen schlafen, sind wir im Grunde eigentlich ein Paar.“  Boris und Johanna verbringen jede freie Minute miteinander und doch bleiben sie sprachlos, wenn es darum geht, was es bedeutet, wenn man sich fast geküsst hat.

Sich all diese Fragen zu stellen, die Zweifel zu spüren und den unbändigen Wunsch das Leben gänzlich zu verstehen, zeichnet die Ich-Erzählerin Johanna aus.

Mit einer angenehm unaufgeregten, selbstreflektierenden, ironischen Sprache, die aber, dem Schreibgott sei auf immer gedankt, nie ins nervig Pseudo-jugendsprachliche abdriftet, lässt Johanna den Leser in ihre Seele blicken.

Die Coming-of-age Story um die drei Jugendlichen entstammt der Feder des preisgekrönten Drehbuchautors  und Filmregisseurs Jan Schomburg, dessen Verlag keine Mühen gescheut hat, das Buch durch prominente Vorleser zu promoten, was, ich muss es gestehen, mich erst etwas skeptisch gemacht hat. Unnötigerweise! „Das Licht und die Geräusche“ hätte sich es auch ohne den Halo-Effekt durch bekannte Stimmen ins Rampenlicht geschafft.

Johanna erzählt in rasanten Schnitten Episoden aus ihrem Leben, von der Vergangenheit zur Gegenwart und wieder zurück. Szenenwechsel, die einen schwindelig machen können, aber die persönliche Erinnerung folgt nun mal nicht den Regeln einer Nacherzählung für den Deutschunterricht. Da geht es um alles, worum es in diesem Alter halt so geht: um Klassenfahrten, peinliche Eltern, ungerechte Lehrer, Partys, Mobbing, Todessehnsucht und Wanderungen angetrunken durch die Nacht.

Sprachlich immer im Präsens, so dass der Leser ganz nah an den Figuren ist, die Montagetechnik verrät den Autor, das Verschachteln von Rückblenden, Jetztzeit und Zoom der Szenen wirkt sehr filmisch, den Medienkonsumgewohnheiten gerade jüngerer Leser sehr entgegenkommend. Trotzdem gelingt es Schomburg den Stoff zu verdichten, die Spannung voran zu treiben, Boris verschwindet, hinterlässt einen Abschiedsbrief, der zu schlimmsten Spekulationen Anlass gibt, so dass Johanna und Ana-Clara mit Boris Eltern Richtung Island aufbrechen. Die Suche nach dem Mann, der die beiden Frauen in Eifersucht verbindet, führt zu einer kurzen, intensiven Annäherung, die so schnell vorbei ist, wie sie begann. Schomburg gelingt es auch hier die darauf folgenden Gefühlsverwirrungen sehr authentisch darzustellen, wobei für mich die erzählerischen, statischeren Sequenzen die schwächeren sind.

Was es für mich zu so etwas Besonderem macht, ist die wunderbar weise Heldin, die nicht einfach nur schildert, wie das Leben sich anfühlt, bevor man offiziell allein darüber bestimmen darf, sondern die ihre Fragen ans Leben mit den Lesern teilt. Johanna will die Beweggründe, die Menschen Dinge tun oder lassen lässt verstehen, will wissen, warum sie etwas genau so tun, wie sie es tun. Ihr Gehirn steht nie still, da sind so viele Fragen und sie will Antworten. In ihrem Kopf tobt ein Gedankenstrom, der so viel Energie entwickelt, dass er den Leser schon auf der ersten Seite mit sich reißt.

In diesem Roman geht es um die großen Fragen: um Loyalität, Liebe, das Leben. Und Johanna, die jüngere Schwester im Geiste einer Miranda Hobbes, diese begnadete Metatheorien-Queen, die verstehen will, sie stellt sie sich und uns. Bis sie letztendlich zum Schluss kommt, „.., dass man vielleicht auch nicht immer alles verstehen muss.“, was aber nicht bedeutet, dass man das Fragen einstellen sollte.