Rezension

Gründe um zu leben, da muss es mehr geben

Das Licht und die Geräusche - Jan Schomburg

Das Licht und die Geräusche
von Jan Schomburg

Bewertet mit 3 Sternen

Johanna liebt Boris, Boris liebt Ana-Clara.

„Es ist Johanna schleierhaft, warum sie und Boris kein Paar sind. Klar, eigentlich ist Boris mit Ana-Clara zusammen, aber die ist weit weg in Portugal, während Johanna und Boris jede freie Minute miteinander verbringen und über alles reden, außer darüber, warum sie sich noch nicht geküsst haben. Johanna versteht das nicht, und das nervt sie..“

Der Klappentext verspricht eine pointierte empathische Geschichte über drei Jugendliche und deren Versuche, die Bedeutung des Lebens zu erkennen.

Auf den ersten 50 Seiten werden vor allem die Protagonisten, aber auch einige andere Personen vorgestellt. Allen voran Johann die Ich-Erzählerin. Vorneweg, ich weiß, dass man den Ich-Erzähler nicht mit dem Autor gleichsetzen soll, aber trotzdem ist es für mich immer ein kurzer Moment der Verwirrung, wenn ein männlicher Autor eine weibliche Icherzählerin die Handlung schildern lässt. Ich bin mir anfangs nicht sicher, ob ich Johanna mag. Sie wirkt auf mich bieder, altklug und übereifrig, z.B. wenn sie Ana-Clara über die politischen Verhältnisse in ihrer Heimat Portugal befragen will. Sie versucht für alles Verständnis aufzubringen, sogar dafür, dass Boris, in den sie verliebt ist, eine Freundin hat. Aber als sie mit dem völlig betrunkenen Boris und seiner Freundin nachts beim Autostoppen von einem Autofahrer mitgenommen werden, lässt Johann sich von diesem begrapschen und wäre sogar bereit mit ihm ins Bett zugehen. Das passt für mich nicht zusammen.
Boris besagte Freundin ist Ana-Clara, Portugiesin ohne Deutschkenntnisse, die mit den ausdruckslosen Augen, scheinbar an allem uninteressiert und unbeteiligt. Viel zu sagen gibt es nach den beiden ersten Kapiteln nicht über sie, denn sie sagt auch kaum ein Wort.
Boris hingegen erscheint mir als ein wirklich stärker Charakter, er hat nicht das arrogante Gehabe manch "richtig cooler Typen", er hat etwas zu sagen und philosophiert frei von der Leber weg mit dem Professor über nichts und etwas. Und dann sind da seine Gedankenspiele, welche Gründe es denn für oder gegen das Leben gibt. So kommt es auch zu der Erklärung des Titels des Buches. Denn Johanna ist der Meinung, es gibt einen Grund, um zu leben, nämlich das Licht und die Geräusche.
Man lernt auch Johannas Eltern und Bruder kennen, einige Lehrer und zwei Mitschüler, Marcel, der völlig unpassende Witzchen während des Geschichtsunterrichts reißt und als Outlaw charakterisiert wird und Timo, der Außenseiter, der keinen Anschluss an die Klassengemeinschaft findet und plötzlich ein Zweiergespann mit Marcel bildet.
Nun findet also die Klassenfahrt statt. Das Geheimnis um Timo und Marcel wird gelüftet. Nicht wirklich glaubhaft ist allerdings die spätere Entwicklung Marcels, die Reue steht ihm nicht gut.
Ich mag Johanna noch immer nicht besonders. Sie ist mir zu beflissen, will immer das richtige tun. Ihr Abschweifen in die Vergangenheit ist für mich nicht immer nachvollziehbar, aber diese Elemente mag ich trotzdem.
Selbst Boris scheint von Johannas Versuchen, alles verstehen zu wollen und vernünftige Argumente gegen emotional geladenes Verhalten zu bringen, genervt zu sein. Er vergleicht es treffend damit, als deutschen Soldaten euphorisch gegen Franzosen in den ersten Weltkrieg gezogen sind und jemand trotzdem noch den französischen Käse lobt. In einer Szene, als Boris völlig überdreht agiert, bezeichnet er Johanna als die „Hüterin der Ordnung“. Dieses Bild finde ich äußerst zutreffend auf Johanna.

Dann plötzlich verschwindet Boris, er schickt Briefe aus Island an Johanna und Ana-Clara und schreibt, er fühle das Licht und Geräusche nicht mehr. Die Sorge ist groß, dass Boris sich etwas angetan hat. Gemeinsam mit Boris‘ Eltern und Ana-Clara macht sich Johanna auf nach Island. Dort nimmt die Beziehung zwischen Johanna und Ana-Clara eine überraschende Wendung, für mich nicht wirklich nachvollziehbar und unnötig. Wie so viel in diesem Buch passiert etwas völlig unmotiviertes und aus dem Zusammenhang gerissenes.

Die Handlung des Buches wird oft sehr sprunghaft von Erinnerungen Johannas unterbrochen. Das machte die Geschichte manchmal ein wenig mühsam zu lesen, da nicht immer gleich (vor allem beim Umblättern) ersichtlich ist, in welcher Zeitebene man sich gerade befindet.

Mit der Zeit verlor sich bei mir dieses Gefühl der Verwirrtheit. Ich mochte Johannas Abdriften in ihre Gedanken und Erinnerungen immer mehr. Ihre Art zu denken erinnerte mich oft an mich selber, während eines Gespräches einem Gedanken im Kopf weiter anzuhängen und ganz woanders zu landen, als der Gesprächspartner vermutet.
Das Ende erfolgte plötzlich und viele Fragen bleiben offen.

Vielleicht liegt es auch an meinem Alter, dass mir trotzdem die Identifizierung mit Johanna als Erzählerin nicht gelingen konnte. Aber vieles, was in dem Buch angedacht wurde, kratzt nur an der Oberfläche, manch gute Ansätze werden angerissen und dann wird man damit allein gelassen.

Mich hat das Buch als Leserin leider etwas ratlos zurückgelassen.