Rezension

Umwerfend gut!

Wer hat Angst vor Jasper Jones? - Craig Silvey

Wer hat Angst vor Jasper Jones?
von Craig Silvey

Bewertet mit 5 Sternen

Ich mag es sehr, wenn ein Buch ein ausgefallenes Cover hat. Das ist hier nicht der Fall, aber das Cover passt zum Buch und ist schön gemacht. Dafür hat dieses Buch etwas anderes, das ich absolut schätze: ein Lesebändchen! Schade, dass es die kaum noch gibt!

Dazu die Ich-Form, meine bevorzugte Erzählform. Einfach genial, wie Craig Silvey den 13-jährigen Charly erzählen lässt, wie ein einziger Sommer seine Kindheit abrupt beendete und alles veränderte. Kindheit und Jugend ist immer schwer und mit Veränderungen verbunden, aber Charly erzählt im Jahre 1965 – einer Zeit, in der vieles noch anders war. Es war die Hochburg von Rassismus und sozialer Ausgrenzung, die Zeit des Vietnamkrieges und der Umbrüche. Charlys Freund Jasper Jones bittet ihn um Hilfe. Charly ist wie immer hilfsbereit - und möchte dann doch nur noch weg, als er sieht, worum es geht: Laura Wishart wurde erhängt. Aber von wem? Und warum? Beiden ist klar: alle werden Jasper für den Täter halten, ist er doch der Sohn des stadtbekannten Säufers und immer schmutzig, stiehlt auch bestimmt alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Charlys bester Freund ist Jeffrey – ebenfalls ausgegrenzt, weil er Vietnamesische Eltern hat. Charly kämpft: mit sich selbst, seiner Pubertät, dem Schock über den Tod von Laura, der ersten zarten Liebe und gegen viele, viele Vorurteile.

Immer wieder spielt Craig Silvey auf Mark Twain an, auch "Wer die Nachtigall stört" wird immer wieder erwähnt. Trotzdem ist es kein Abklatsch. Mich wundert keineswegs, dass dieses Buch so viele internationale Preise gewonnen hat. Es ist einfach perfekt geschrieben! So viele einzelne Komponenten, die perfekt ineinander über gehen! Obwohl Charly in diesem australischen Sommer 1965 mehr ertragen muss, als andere in einem ganzen Leben, wirkt alles sehr authentisch; nichts wirkt gewaltsam konstruiert. Das liest sich absolut flüssig und macht süchtig - Seite um Seite liest man weg, ohne aufhören zu können. Craig Silvey beschreibt die Gedanken und Gefühle der Pubertierenden,besonders von Charly, so treffend und gefühlvoll, dass man fast vergisst, dass er nicht von sich selbst erzählt, gar nicht von sich selbst erzählen kann (damals gab es ihn noch gar nicht!).

Die Themen Bücher, Schriftsteller und schreiben sind ebenfalls immer präsent. Silvey spielt auf diverse Autoren und ihre Protagonisten an, lässt Charly selbst schreiben und ihn hoffen und glauben, dass sein Vater ebenfalls heimlich schreibt. Schreiben als Medizin - gegen eine kalte Welt, eine kalte Mutter/Ehefrau, eine kalte Gesellschaft, ein kaltes Grab.

Ob ich es als Jugendbuch sehe? Vielleicht. Aber es ist auf alle Fälle ein Buch, das Erwachsenen zu denken geben sollte und sie die Probleme und Sorgen ihrer pubertiertenden Kinder besser verstehen lassen kann. Ein Buch, das von Gegensätzen handelt: Gut und Böse, Liebe und Hass, Wahrheit und Lüge, Leben und Tod, Gemeinschaft und Trennung, Sehen und Blindheit, Richtig und Falsch, Kindheit und Erwachsensein.

Ich habe schon viele Bücher gelesen, die diverse tolle Preise bekommen hatten - und fand sie dennoch mies. Hier ist das völlig anders: dieses Buch hat jeden einzelnen der gewonnenen Preise auch wirklich verdient und noch viel mehr! Es würde mich doch sehr wundern, wenn von diesem Autor nicht noch mehr wunderbare Bücher kommen würden! Für mich ist dieses Buch ein wahres Kleinod, das immer einen besonderen Platz in meiner kleinen Bibliothek haben wird. Ein Buch, das ich immer wieder lesen werde und in dem ich immer wieder besondere, mir wichtige Stellen finden werde. Es ist mit Anlauf auf meiner persönlichen Lieblingsbuchliste den ersten Platz eingenommen!