Rezension

Wer willst du sein?

Manchmal rot - Eva Baronsky

Manchmal rot
von Eva Baronsky

Bewertet mit 4 Sternen

Eva Baronsky erzählt in ihrem Roman die Geschichte einer Frau und eines Mannes, die in unterschiedlichen Welten leben und deren Wege sich eines Tages dennoch kreuzen. 

Da gibt es Christian, der immer das Gleiche will: Geld, Macht, Erfolg! Hat er alles… Aber haben ist nicht gleich haben. Man(n) kann immer noch "mehr" haben. Und so strampelt er als Anwalt einer großen Wirtschaftskanzlei im Haifischbecken namens Finanzbranche. Wie hält er sich über Wasser und seine Kollegen unter Wasser?! Das sind rund um die Uhr seine Gedanken und die machen keine Pause, ausdauernder als jeder Marathonläufer… Und falls doch mal ein Gedanke an Charlotte, die ihn verlassen hat, an die Oberfläche bricht, dann ertrinkt Christian ihn mit einem, zwei, drei, vier oder auch fünf Gläsern Wein. Danach wird der Blinker erneut gesetzt und er prescht auf der Überholspur an allen Gefühlen vorbei. Im Rückspiegel erkennt er die Personen, die seiner Gier nach Macht zum Opfer gefallen sind… Mitleid?! Nein! Der eigene Erfolg legitimiert zu allem! 

Dann ist da diese Frau, ohne Namen, die verunsichert durch die Welt schleicht. Die bloß keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Die sich in der Welt der Buchstaben nicht zu Hause fühlt. Dafür körperliche Arbeit nicht scheut und illegal putzen geht, um ihr hart erarbeitetes Geld an ihren Freund abzudrücken, der es in den Spielhallen der Stadt verprasst. 
 

Und dann kollidieren diese zwei Welt miteinander als sie beim putzen von Christians Luxusapartment von der Leiter fällt. Im Krankenhaus aufwacht wie ein leeres Buch - ohne jede Erinnerung… Angelina Niemand soll sie sein! Das auf dem Personalausweis ist tatsächlich ihr Gesicht, aber wer ist diese Angelina? In ihren Kleidern und ihrer Wohnung fühlt sie sich nicht wohl…

In abwechselnd geschilderter Sichtweise lässt die Autorin ihre Leser Stück für Stück in das Innenleben der beiden hineinblicken und da erkennt man, dass trotz der Unterschiede sie die Frage eint, wer sie sind und ob sie in die Welt passen, in der sie sich eingerichtet haben. 

In einem ganz zarten Stil beschreibt die Autorin wie Angelina sich neu entdeckt. Wie sie die Welt der Buchstaben erobert. Wie sie die Musik in sich und in der Welt spürt in den buntesten Farben und wildesten Mustern. Wie sie all den Erwartungsdruck dieser fremden Personen hinter sich lässt "früher hast du das nicht gemacht!" und aufbricht in ein "nachher". 

Auf beeindruckende Weise skizziert die Autorin, dass man auch ganz ohne Verlust des Gedächtnis häufig aus den Augen verliert wer man ist! Christian, er hat einen Namen, er hat eine Position (ganz oben). Dr. von Schöchting! Ein Name bei dem die Leute aufhorchen! Aber wer will er eigentlich sein? Will er dieser Typ sein, der für den eigenen Erfolg über Leichen geht?! Will er der Mann sein, der sich dem familiären und beruflichen Erwartungsdruck beugt?! Seine fast schon panische Angst vor dieser Frage und die Verbissenheit mit der ihr versucht zu entgehen und dadurch doch nur seine Verhaltensmuster intensiviert zeigt wie verletzlich er eigentlich ist. Eine berührende Charakterzeichnung. 

Man sollte sich das Buch zur Hand nehmen wenn man Zeit hat. Diese Geschichte verlangt nach Zeit, die man sich nehmen sollte, denn wenn man sich auf sie einlässt dann kann man viel über sich selber lernen. Nach dem ich etwas mit dem offenen Ende gehadert habe, muss ich mittlerweile feststellen, dass es zur Geschichte passt! Es ist einfach wie das wahre Leben selbst: offen! Wann werden einem schon mal alle Fragen beantwortet?!

Kommentare

Arbutus kommentierte am 26. Mai 2015 um 21:13

Schöne Rezension! Ich habe dieses Buch aus persönlichen Gründen abgebrochen, fand aber auch, dass es sehr klug und intensiv geschrieben ist.