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Interview mit Stefan Keller

Interview mit Stefan Keller

Interview mit Stefan Keller

Die Fußball-Weltmeisterschaft steht vor der Tür und verspricht auch abseits des Platzes Spannung pur - zum Beispiel in Form von WM-Krimis. Stefan Keller hat einen solchen geschrieben und stand unserer Kollegin Lisa Schubeius nun für ein Interview zur Verfügung.

Stefan Keller, geboren 1967 in Aachen, ist freier Schriftsteller und unterrichtet Kreatives Schreiben an der Universität zu Köln. Seit 2010 veröffentlichte er vier Kriminalromane, in denen Jungdetektiv Marius Sandmann in Köln und Umgebung Fälle löst. Der vierte Fall „Kölner Grätsche“ erschien Anfang des Jahres und dreht sich um einen ehemaligen Profifußballer des 1. FC Köln.

Herr Keller, auf ihrer Internetseite schreiben Sie über sich selbst, dass Ihnen als Jugendlicher schon klar war, dass sie Ihren Lebensunterhalt niemals mit Schreiben oder Unterrichten verdienen wollten. Jetzt tun Sie genau das. Was gefällt Ihnen nun doch daran, Schriftsteller und Lehrer zu sein?
Naja, die Ironie in der Geschichte liegt eigentlich darin, dass ich immer geschrieben habe. Dabei fand ich die Vorstellung dazusitzen und zu schreiben mindestens ebenso langweilig wie die zu unterrichten. Irgendwann habe ich dann wohl eingesehen, dass das zu mir passt: langweilig sein. Ich hoffe natürlich, dass meine Bücher anders geraten sind als ihr Autor. :-)

Sie verdienen Ihren Lebensunterhalt also nicht nur mit dem Schreiben von Romanen, sondern arbeiten an verschiedensten Projekten. Welche liegen Ihnen besonders am Herzen?
Ehrlich gesagt: Mir liegt das nächste Projekt immer besonders am Herzen. Natürlich habe ich Ideen und Projekte, die ich gerne machen würde, auf die ich mich sehr freue. Aber im Grunde stürze ich mich immer auf das nächste Projekt und mache es zur Herzensangelegenheit. Aktuell ist das der 5. Sandmann Krimi, den ich im Juni anfange zu schreiben.

Ihre bisher erschienen Romane sind Regionalkrimis. Könnten Sie sich vorstellen, das Genre zu wechseln und etwas ganz anderes zu machen? Beispielsweise ein Kinderbuch oder etwas im Fantasybereich?
Für mich ist das immer eine Frage der Figur und der Geschichte. Meist sind es Krimi-Geschichten, die mir einfallen. Daneben gibt es aber durchaus noch andere Ideen und Geschichten, z.B. im Jugendbuchbereich. Einen Stadtführer habe ich mit den „66 Lieblingsplätzen KÖLNER PERSÖNLICHKEITEN...“ ja auch schon geschrieben.
Aber das Genre Krimi bietet mit natürlich die Möglichkeit sehr viele sehr unterschiedliche Geschichten zu erzählen und spannend über Themen zu schreiben, die ansonsten nur schwer zu erzählen wären.

Als regional bekannter Autor und Lehrer sind Sie häufig in Kontakt mit Ihren Lesern. Freuen Sie sich über Fanpost oder direkte Rückmeldungen während Veranstaltungen oder Seminaren?
Das kommt auf die Rückmeldung an! :-) Nein, im Ernst: Ich schreibe, um gelesen zu werden. Also gehört Feedback ja irgendwie dazu. Außerdem ist es oft spannend zu sehen, wie die Leser meine Figuren wahrnehmen. Oft freut es mich, weil sie Details registrieren, wo ich dachte, das merkt kein Mensch, dass das da drin steckt. Marius Sandmann zum Beispiel lebt sehr „straight edge“: keine Drogen, kein Alkohol, kein Kaffee (untypisch für einen Krimi-Ermittler, ich weiß :-)), vegetarische Ernähung, dazu Kraftsport. Nur wird der Begriff „straight edge“ nie in den Romane erwähnt. Trotzdem wird das von den Lesern doch sehr genau wahrgenommen und verstanden. Auf der anderen Seite sehen Leser mit ihrer eigenen Sichtweise, die ja immer auch sehr individuell und biographisch geprägt ist, oft Dinge, die ich gar nicht so bewusst eingeplant habe. Sie bereichern meine Romane also irgendwie...

Lesen Sie Ihre Bücher nachdem sie gedruckt wurden noch einmal als „fertiges“ Buch?
Nein, in der Regel nicht. Ich lese die letzte Fassung vor der Druckfreigabe. Danach ist das Buch für mich abgeschlossen. Meist stecke ich zu der Zeit ja auch schon in den Vorbereitungen für das nächste Buch.
Erst wenn es dann auf Lesungen zugeht, schaue ich wieder ins Buch, suche nach geeigneten Lesestellen und lese die natürlich auch wieder. Aber dann unter einem anderen Blickwinkel, nämlich: Taugt diese Szene für eine Lesung?

Ich habe einmal den Ratschlag bekommen, man solle nichts lesen, das aus der Feder anderer Autoren stammt, solange man selbst an einer Geschichte arbeitet. Was halten Sie von diesem Ratschlag? Lesen Sie selbst viel in ihrer Freizeit?
Ich lese eigentlich immer sehr viel. Auch wenn ich an einer Geschichte arbeite. Sonst käme ich ja gar nicht mehr zum Lesen. Schließlich arbeite ich immer an irgendeiner Geschichte J Ich würde im Gegenteil auch eher dazu raten, alles, wirklich alles zu lesen, was einem in die Finger kommt. Man lernt viel von anderen. 

Was ist Ihr persönliches Lieblingsbuch?
Du meine Güte! DAS persönliche Lieblingsbuch???? Unmöglich, da nur ein Buch zu nennen.
Ottfried Preusslers „Krabat“ fiele mir ein. Das Buch habe ich als Kind heimlich meinem Bruder geklaut. Allerdings hat es mich, der viel zu jung dafür war, so geängstigt, dass ich es erst Jahre später zu Ende gelesen habe. 
Jeder sollte Bertrand Russells „Eroberung des Glücks“ gelesen haben. Großartiges Buch! Vielleicht sollten die Schulen das neben dem Grundgesetz zum Abitur verschenken. Wird das GG heute noch verschenkt? Dazu Montaigne „Die Kunst das Leben zu lieben“.
Ansonsten Markus Zusaks „Bücherdiebin“ (Wer mich mit einer Geschichte zum weinen bringt, ist ein Guter), aber auch seine früheren Romane (speziell „Der Joker“ und „Wilde Hunde“). Kevin Brooks „Bunker Diary“ hat mir zuletzt sehr gut gefallen (aus persönlichen Motiven und überhaupt mochte ich auch „Naked“ von ihm sehr, sehr gerne).
Shakespeare – das gesamte Werk. 
Ach ja, Krimis sollte ich auch nennen, oder? Ich habe eine Schwäche für die Düsteren unter den britischen Autoren: Ian Rankin, Val McDermid, Mo Hayder, Stuart MacBride, Minette Walters. Auch William Shaws „Abbey Road Murder Song“ mochte ich sehr (vor allem wegen des Zeitkolorits). Carlo Lucarelli ist ein großartiger Krimiautor (um mal einen Nicht-Engländer zu nennen), Brigitte Auberts „Im Dunkel der Wälder“ hat eine der interessantesten Krimi-Hauptfiguren überhaupt.
Für seine Erzählweisen und Themen schätze ich Ian McEwan (schon wieder ein Engländer), Julian Barnes „Vom Ende einer Geschichte“,  als Reiseschriftsteller Bill Bryson. Auch weil er mir mit seiner „Die kurze Geschichte von fast allem“ Chemie und Physik näher gebracht hat (was keinem Lehrer je gelungen ist). Christian Kracht ist ein großartiger Erzähler („Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ ist eine meiner liebsten historischen Fiktionen). Und ein toller Reiseschriftsteller.
Richard Sennet ist überhaupt einer der klügsten Menschen auf dem Planeten (und wird in Deutschland viel zu wenig gewürdigt). Seine Bücher über die Veränderungen der Welt, vor allem „Der flexible Mensch“, „Handwerk“ oder „Civitas“ sind ebenso klug wie unterhaltsam.

Die wichtigste Empfehlung beim Lesen finde ich ohnehin: den eigenen Neigungen und Interessen folgen! Spricht mich das Buch an? Das Thema? Die Idee? Die Hauptfigur? Sonst irgendwas? Dann nimm’s mit!

An der Kölner Universität halten sie verschiedene Kurse, unter anderem zum Drehbuchschreiben, Krimischreiben oder zur allgemeinen „Kunst des Erzählens“. Würden Sie sagen, dass Ihre Lehrtätigkeit auch ihr eigenes Schreiben inspiriert? Diskutieren Sie eigene Ideen mit Ihren Studenten?
Meine eigenen Ideen diskutiere ich nicht in meinen Kursen. Deren Zeit ist ausschließlich für die Ideen meiner Studenten da. 
Gelernt habe ich in meinen Kursen eine Menge. Teilweise weil mich Seminare dazu bringen, Dinge, die ich seit Jahren tue, neu zu durchdenken, um sie jemand anderem vermitteln zu können. Mehr aber noch weil in den Seminaren immer wieder Fragen auftauchen, die meine Arbeit bereichern.

In den USA ist das Kreative Schreiben als Unterrichtsfach viel verbreiteter als in Europa. Wie schätzen  Sie die Notwendigkeit einer theoretischen Ausbildung für junge Schriftsteller ein?
Ich bin ja kein sehr theorielastiger Dozent. Eher im Gegenteil. Mir geht es darum, praktische Erfahrungen zu ermöglichen und zu vermitteln. Das Seminar schafft dafür einen Rahmen und meine Aufgabe sehe ich primär darin, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich ein Text besser erzählen lässt. Da geht es eher um die Fragen: Was will der Autor eigentlich erzählen? Kommt das beim Leser (den Seminarteilnehmern) so an? Wie kann der Autor seine Geschichte (noch) besser erzählen? Das sind eher handwerkliche Fragen.

Haben Sie selbst Schreibworkshops besucht, bevor Sie mit dem unterrichten begonnen haben?
Ja, das mache ich sogar heute noch. Schreiben zu lernen ist ja ein Prozess, der nie aufhört. Ich bin immer noch ziemlich scharf darauf, Kniffe und Tricks des Erzählens zu lernen, die ich noch nicht kannte.

Wie sieht eine klassische Unterrichtsstunde bei Ihnen aus?
Die meiste Zeit in meinen Seminaren geht für die Textdiskussionen drauf. Ich verschicke die Texte, die in einer Sitzung besprochen werden sollen, einige Tage vorher per E-Mail. Damit haben alle Zeit und Gelegenheit die Texte zu lesen.
Ich halte nicht viel davon, Texte in einer Sitzung vorlesen zu lassen und dann darüber zu reden. Die Gedanken, die einem manchmal erst später kommen, gehen für die Besprechung dann verloren.
Entsprechend viel wird in meinen Seminaren denn auch über die Texte geredet. Wobei es mich auch nach bald fünfzehn Jahren Seminararbeit immer noch freut, wie konstruktiv es dabei zugeht. 

Welche Ratschläge würden Sie einem angehenden Schriftsteller an dieser Stelle mit auf den Weg geben wollen?
Neben den vermutlich bekannten Ratschlägen wie täglich zu schreiben, sich klar zu machen, dass erst das Umschreiben Geschichten gut macht, würde ich gerne eine Beobachtung teilen, die ich in jetzt fast 15 Jahren Seminararbeit gemacht habe:
Es sind nicht die Talentierten und die Fleißigen, die weiterkommen. Es sind die Umtriebigen. Die, die viel ausprobieren, offen sind, und hartnäckig. Joe Strummer, Sänger von The Clash, hat einmal gesagt, dass nichts in der Welt Hartnäckigkeit ersetzen könne. Weder Talent, noch Genie, noch Ausbildung.
Ansonsten sollte man Ratschläge von anderen Leuten nicht allzu ernst nehmen.

Welche Literatur zum Thema Kreatives Schreiben können Sie empfehlen?
Hm... Ich dreh mich um, schau in mein Regal und stelle fest, dass da nur wenig Literatur zum Kreativen Schreiben steht, die ich empfehlen würde. Nicht einmal so sehr, weil die Bücher nicht gut wären. Manche sind ziemlich gut.
Aber eigentlich spielt es keine Rolle, ob und welche Bücher sie zum Kreativen Schreiben lesen. Es geht eher darum, WIE Sie sie lesen.
Wenn Sie ein Buch über das Schreiben als Bibel betrachten, hilft Ihnen das genauso wenig ,wie wenn Sie Bücher über das Schreiben generell als Quatsch ablehnen. Es geht darum, dass Sie aus jedem Buch, das Sie lesen, die Gedanken rausziehen, die Ihnen weiterhelfen (und vielleicht ein paar einfach mal ausprobieren, obwohl sie nicht ganz von ihnen überzeugt sind). Wenn Sie das tun, ist es eigentlich egal, welches Buch Sie lesen.

Regionalkrimis sind nach wie vor ein großes Trendthema und sie werden interessanterweise auch nicht nur in der entsprechenden Region gelesen. Was macht Ihrer Meinung nach die Faszination dieses Genres aus?
Ich schreibe meine Krimis ja weniger unter dem Aspekt der Region und des Köln-Krimis. Im Vordergrund stehen die Figuren und ihre Geschichte. Die Region (in diesem Fall Köln) liefert den Schauplatz und spielt bei mir eher in ihrer Doppelbödigkeit eine Rolle. Ich versuche, über die Stadt (oder Region) eher das zu erzählen, was nicht direkt zu sehen ist. Aber im Kern geht es um Figuren und Geschichten, die auch ein Leser in München oder an der Ostsee interessieren sollen.

Marius Sandmann, der Protagonist Ihrer Romane, ist ein junger Mann, der sein Studium in Kunstgeschichte abgebrochen hat und eher unfreiwillig in die Detektivarbeit hineinrutscht. Am liebsten würde er nach verloren gegangenen Gemälden fahnden. Warum haben Sie sich für den kunstgeschichtlichen Hintergrund entschieden?
Unfreiwillig ja nicht! Er will schon, was er tut. Die Suche nach Kunstgegenständen ist eher eine Spezialisierung, die er aufgrund seiner Vergangenheit und seiner bisherigen, nicht unbedingt erfreulichen Erfahrungen mit Gewaltverbrechen, anstrebt.
Ich wollte zu Beginn der Serie eine Figur haben, die eben auch selber am Anfang steht in seiner Karriere als Detektiv. Jeder kennt in Krimis die alten Kommissare, die alles gesehen haben und an ihren Erinnerungen leiden. Ich wollte einen Ermittler, dem das noch bevorsteht und bei dem ich schauen kann, wie er sich über die Jahre verändert. Der kunstgeschichtliche Hintergrund bietet ihm dabei die Möglichkeit, auf Sachen zurückzugreifen, auf die sonst niemand Zugriff hat. Im Grunde ist Kunst für Sandmann aber auf eine beruhigende Art tot (im 5. Band ändert sich das allerdings). Tote hingegen sind für ihn auf sehr beunruhigende Weise tot.

In „Kölner Grätsche“ verschlägt es Sandmann ein ganzes Stück aus seiner Region heraus, nach Brasilien, ins Land der Fußballweltmeisterschaft 2014. Interessieren Sie sich für Fußball?
Ja. Ich habe einige Jahre sogar über Fußball gebloggt, bin Mitglied des 1. FC Köln (und Dauerkartenbesitzer). Und ich besitze im Kölner Stadion einen Sitzplatz mit meinem Namen darauf. :-)
Interview mit Stefan Keller - Sitzplatz und Buchcover
Wissen Sie schon, wohin es Sandmann in seinem fünften Fall verschlägt? 
Ja. In Bildwelten. So viel kann ich verraten.

Vielen lieben Dank für das tolle Interview und weiterhin viel Erfolg mit Ihren Projekten!!

Kommentare

westeraccum kommentierte am 10. Juni 2014 um 13:45

Von dem Mann hatte ich noch nie gehört, na ja, Köln ist auch nicht unbedingt meine Lieblingsstadt. Aber nach dem guten Interview werde ich mich mal in der dortigen Krimiszene umsehen.

Schaefche kommentierte am 10. Juni 2014 um 14:45

Die Krimis muss ich mir mal merken... Tolles Interview! Sehr sympathisch finde ich die Antwort auf die Frage nach dem Lieblingsbuch :)

Sommerzauber02 kommentierte am 10. Juni 2014 um 16:28

Liebe Lisa,

dein Interview gefällt mir, und man sieht, dass du dich mit dem Autor und mit dem generellen Schreiben von Bücher beschäftigt hast.

Stefan Keller ist mir als Autor (und seine Bücher) nicht bekannt, aber ich sollte irgendwann von ihm einen Krimi lesen da ich gerne Krimis lese. Vielen Dank, dass du uns auf ihn aufmerksam gemacht hast.

Streiflicht kommentierte am 11. Juni 2014 um 17:05

vielen dank für dieses interessante interview. eine freundin von mir ist leidenschaftliche kölnerin und fußballfan.... ich glaube, sie bekommen ein buch von diesem autor zum geburtstag!

nikolausi kommentierte am 11. Juni 2014 um 18:28

Vielleicht kriege ich mit einem WM-Krimi ja meine lesefaulen Kinder und Mann zum Lesen. Ich selbst bin nicht fußballbegeistert.

katze267 kommentierte am 13. Juni 2014 um 23:20

Ein sehr schönes Interview.

Einen Kölner Fussballkrimi lesen ist eher nichts für mich, aber der Autor wirkt sehr sympathisch.

Krabat fand ich auch gut, die Verfilmung aber weniger.

Jeco01 kommentierte am 22. Oktober 2014 um 22:59

DAnke für das Interview