Rezension

Eine Geschichte mit viel Tiefe und dem Appell zum Anderssein

Mein Leben, mal eben - Nikola Huppertz

Mein Leben, mal eben
von Nikola Huppertz

Anouk Vogelsang ist dreizehn Jahre alt und anders als die anderen in ihrer Klasse – eine typische Protagonistin eines Jugendbuchromans, werdet ihr jetzt sagen. Aber weit gefehlt, denn Anouks Mütter führen eine lesbische Beziehung und sind gleichzeitig aber auch mit Anouks leiblichem Vater Philipp befreundet. Dass Anouk in der Schule wegen ihrer Familienkonstellation oft in Erklärungsnot gerät, ist schade aber vorhersehbar. Anouk scheint selbst über die sexuelle Orientierung ihrer Mütter voll im Bilde zu sein, hat aber Schwierigkeiten, die damit verbundenen Besonderheiten in ihrem Leben zu akzeptieren.

[…] ich hab leider das Unnormal-Gen abgekriegt, mit dem komm ich nicht aus dem Schneider, es hat mich schon längst besiegt. (S. 161)

Am Beginn des Romans war mir  nicht wirklich klar, worin ihre Anderssein besteht. Anouk führt zwar in ihren Memoiren Listen, welche Punkte sie in ihrem Leben verändern möchte, um so zu sein wie die Anderen, doch dass sie Metal hört, nicht gerne shoppen geht und nicht die neusten Computerspiele spielt, hat sie für mich zunächst nicht als anders gekennzeichnet. Erst als ihre beiden Mütter MaMi und Matrix ins Spiel kommen, wird allmählich deutlich, weshalb Anouk sich selbst unnormal findet. Dabei ist interessant, dass sie das Unnormale stets auf sich selbst bezieht und selten auf ihre beiden Mütter. Besonders gut hat mir auch gefallen, dass Anouk in ihrer Beschreibung ihres Lebens im Tagebuch nichts beschönigt und die Worte so niederschreibt, wie sie ihr in den Kopf kommen.

Damals, mit fünf, sechs Jahren, hab ich keine Sekunde darüber nachgedacht […] über MaMi und die Sache, dass sie meine Mutter ist, obwohl ich nicht in ihrem Bauch war […], und dass all das überhaupt eine Rolle spielt, wenn nur das Liebhaben stimmt. (S. 128)

Huppertz fängt mit Worten gekonnt die Liebe und Geborgenheit innerhalb von Anouks Familie ein. Gleichzeitig wird an manchen Stellen auch Anouks Einsamkeit deutlich. Ihr verzweifelter Wunsch sich mit ihrer neuen Klassenkameradin Lore anzufreunden, hat mich sehr berührt und mir gezeigt, wie schwierig es für jemanden in Anouks Situation in der Realität wirklich sein muss: Freunde, die hinter dem Rücken über einen tuscheln, werden für Kinder mit homosexuellen Eltern wohl ebenso an der Tagesordnung sein, wie Vorurteile über die eigene sexuelle Orientierung. Anouk versucht ihre Schwierigkeiten und Probleme zu verarbeiten, indem sie mit den Worten in ihrem Tagebuch spielt: mit To-Do Listen oder sonstigen stichpunktartigen Aufzählungen, Songtexten, clusterartig angelegte Seiten oder unterschiedlicher Typografie, wird ihre Memoire auch für den Leser zu einem Erlebnis.

Die ganze Welt hat aus Wörtern bestanden, und die Wörter waren schön und ganz warm und sonnenbeschienen, sogar die hässlichen und kalten und düsteren. (S. 109)

Huppertz versucht in ihrer Sprache so authentisch wie möglich dem Tagebuchstil des Romans gerecht zu werden. Weniger gefallen hat mir hier, dass viele Sätze dadurch unklar und schwer verständlich werden und der Lesefluss massiv gestört wird. In Klammern (und oftmals sogar in doppelten Klammern) werden Anouks spontane Gedanken eingeschoben, was dazu führt, dass die Sätze unübersichtlich und kompliziert werden. Auch bestehen ihre Sätze manchmal nur aus einzelnen Wörtern, was in den meisten Fällen zusammenhanglos wirkt und dadurch umso mehr verwirrt.

Fazit & Bewertung

Huppertz hat sich mit Mein Leben mal eben einem schwierigem, aber sehr wichtigem Thema genähert, das ich so noch in keinem Jugendbuch gelesen habe. Die Geschichte über Anouk, die sich aufgrund ihrer homosexuellen Eltern als unnormal bezeichnet, ist tiefgründig und ergreifend, aber auch verblüffend humorvoll. Die Sprache, die originell sein will und sich am Tagebuchstil angelehnt, ist jedoch ziemlich holprig und hat mich nicht nur einmal von der eigentlichen Geschichte abgelenkt. Ich kann das Buch dennoch allen empfehlen, die frei nach dem Motto  Mach einfach dein Ding leben möchten und den Versuch wagen wollen, endlich einmal anders zu sein.