Rezension

1968 – Wolf Heller ermittelt in politisch aufgeheizten Zeiten.

Die Tote im Wannsee - Lutz W. Kellerhoff

Die Tote im Wannsee
von Lutz W. Kellerhoff

Bewertet mit 5 Sternen

Berlin im Herbst 1968. Während die Studenten im eingemauerten Westteil der Stadt für eine Revolution demonstrieren, geht für viele Menschen das normale Leben weiter. So auch für die Beamten der Mordkommission. Die Leiche einer jungen Frau ist aus dem Wannsee geborgen worden. Der junge Kommissar Wolf Heller soll herausfinden, wer die Frau erstochen hat. Wie ein ganz normaler Krimi beginnt "Die Tote im Wannsee", aber schnell wird klar, dass deer Roman eine ganz eigene Dimension besitzt. Denn die Kriminalhandlung ist eingebettet in ein facettenreiches Portrait einer spannenden Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. 
Die Tote wird identifiziert als Heidi Gent, gutbürgerliche Ehefrau, Mutter zweier kleiner Kinder und von Beruf Sekretärin bei einem Rechtsanwalt. Schon bald gerät ihr Mann in Verdacht, aber er betont seine Unschuld und scheint auch kein Motiv zu haben. 
Als Heller die Wohnung der Toten durchsucht, stößt er allerdings auf ein Sparbuch, auf dem die Sekretärin eine ungewöhnlich hohe Summe angesammelt hatte. Hatte sie einen geheimen Nebenverdienst, von dem niemand wusste? Und hat dieses Geld etwas mit dem Mann im teuren Sportcoupé zu tun, der sie ein paar Mal nach Hause gebracht hat? Oder spielt es eine Rolle, dass ihr Arbeitgeber niemand anders ist als Horst Mahler, einer der prominenten Strafverteidiger linksradikaler Aktivisten und aktuell selbst gerade in Haft? Durch Hellers Ermittlungen bekommen die politischen Ereignisse des Jahres 1968 eine wichtige Rolle im Roman. Denn parallel zur Krimihandlung erzählt der Roman von einer Kommune, die plant, Mahler aus dem Gefängnis zu befreien und dann einen Aufstand anzuzetteln. 
Heller kommt mit seinen Ermittlungen nicht voran. So sehr er sich auch bemüht, immer wieder stößt er an seltsame Grenzen, so dass er sich bald sicher ist, irgendwas an dem Fall ist faul. Aber über das "irgendwas" kommt er lange Zeit nicht hinaus. Der Leser ist ihm da immer einen Schritt voraus. Die Erzählung verfolgt nicht nur Heller als Hauptfigur, sondern auch die radikalisierte Studentin Louise und den DDR Agenten Harry, der mehr weiß als alle anderen handelnden Personen.
Die besondere Lage West-Berlins im Kalten Krieg taucht immer wieder als prägende Rahmenbedingung des Lebens in der Stadt auf, immer präsent, aber nie als aktuelles Drama. Auch die Vergangenheit immer noch präsent. Hellers Vorgesetzter war ebenso wie sein Vater im Zweiten Weltkrieg an Gräueltaten beteiligt, und die unbewältigte Vergangenheit ist ebenso mächtig wie die kontroverse Gegenwart. Der historischen Situation angemessen endet das Drama an der Mauer.  
Die drei Autoren Martin Lutz, Sven Felix Kellerhoff und Uwe Wilhelm haben in "Die Tote im Wannsee" ein packendes Porträt einer spannenden Zeit geschaffen, in dem reale Personen wie Bürgermeister Klaus Schütz, Horst Mahler, der Chansonnier Reinhard Mey und DDR-Spionagechef Markus Wolf auftauchen. Kombiniert mit einer packenden Handlung bietet der Roman ebenso spannende wie unterhaltsame Lektüre. Neben der Krimihandlung gelingt den Autoren eine großartige Beschreibung einer spannenden Epoche. Ein komplexer Fall, zwischenmenschliche Komplikationen gepaart mit historischer Genauigkeit und Anschaulichkeit. Tauchen Sie ein in das Hauptstadtgefühl der 68er Jahre. Das Buch führt auf kluge Weise Fiktion und historische Tatsachen zusammen, ohne ständig mit dem Zeigefinger der Belesenheit zu protzen. Ein Muss für Fans und solche die es werden wollen.