Rezension

Abseits der Heteronormativität

Der letzte Sessellift -

Der letzte Sessellift
von John Irving

Bewertet mit 4.5 Sternen

oder: Eine letzte Bestandsaufnahme amerikanischer Akzeptanz.

Der letzte Sessellift fordert Durchhaltevermögen, Geduld und viel Liebe zu Irvings Büchern. Kenner wissen um Irvings Vorliebe zu Skurrilitäten, vor allem in den Intimbereichen seiner Romanfiguren und so ist es nicht verwunderlich, dass es auch in diesem letzten großen Werk davon reichlich zu lesen gibt. Außerdem durchziehen Geister den gesamten Plot, tauchen auf, erschrecken, trösten, oder erinnern an eine bewegte Vergangenheit. Nicht jeder bemerkt sie, doch Adam sieht sie.

Adam ist der einzige Sohn Rays. Sie war gerade achtzehn, als sie schwanger wurde und der Vater verschwindet erst einmal hinter mysteriösen Andeutungen. Mit 14 findet Adam einen Ehemann für seine Mutter, die ihn auch heiratet. Doch am Hochzeitstag entdeckt Adam, dass seine Mutter eine lesbische Beziehung führt. Trotzdem hält die Ehe, denn auch Elliot, ihr Ehemann, hat ein Geheimnis.

Adams Cousine und beste Freundin Nora ist auch lesbisch, sie tritt mit ihrer stummen Freundin Em in einem Comdey-Club auf. Ihre Sketche behandeln gesellschaftskritische Themen und trotz weltoffenem Publikum, schüren sie auch folgenreichen Hass.

Der titelgebende Sessellift steht natürlich im Skigebiet von Vermont. Alle fahren Ski, retten Skifahrer, oder stapfen mit Schneeschuhen durch den selben. Es ist also fast immer Winter, auch in New York und Aspen, wo das legendäre Hotel Jerome steht, in dem Ray einst Adam empfing. Doch Adam bleibt nur ein mittelmäßger Sportler, er konzentriert sich bald aufs Schreiben. Kostproben seiner Drehbucharbeiten werden im Roman mit eingeflochten. Diese handeln vor allem von den albtraumhaften Filmen mit Paul Goode, einem Schauspieler, der sich schließlich als weiterer Dreh- und Angelpunkt erweist.

Der Roman ist zunächst einmal die Biografie Adams. Sein Leben, das Aufwachsen mit den Großeltern, die sich einmischenden und immer zu spitzen Kommentaren aufgelegten Tanten, Cousine Nora, die ihm alles Wichtige fürs Leben beibringt und die Lückentexte der Erwachsenen ergänzt, seine Alleinstellung bei seiner Mutter, erste Versuche mit dem anderen Geschlecht... das alles hat seine lustigen, manchmal auch despektierlichen Momente und sind so sehr Irving, dass man meinen möchte, seine Biografie zu lesen. Adam erscheint als Irvings Alter Ego.

Doch da gibt es noch die zweite Ebene im Buch. Unter all dem Trubel der kuriosen Familienverhältnisse verbirgt sich die Botschaft einer großen LGBTQ-Gemeinde, die endlich gesehen, gehört und akzeptiert werden will. Unter anderem bekommen Ronald Reagen und die Katholische Kirche eine Menge Kritik zu hören. Die einzelnen Schicksale in Adams Umfeld, berühren starke politische Themen, die nicht nur in der Vergangheit für viel Unruhe in den USA gesorgt haben, sondern immer wieder hochkochen. Was zunächst einmal rückwärtsgewandt scheint, kehrt sich gern in neue Schlagzeilen.

Doch leider verliert sich Irving ein wenig, kreist in seinen Wiederholungen und findet nur abrupt den Schluss. Echte Fans schreckt das nicht. Einstiegslektüre aber ist es wahrlich nicht. Ich achte Irvings Intention hoch, bewundere seinen Erzählstil, feiere seine besonderen Zutaten und bedanke mich für vertrautes Terrain. An Abschied mag ich nicht denken und wenn es denn sein muss, so soll er mir als Geist erscheinen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 28. Juni 2023 um 22:53

Einen halben hast du doch abgezogen *ggg*