Rezension

Alfred Hitch... äh Schirach präsentiert

Verbrechen - Ferdinand von Schirach

Verbrechen
von Ferdinand von Schirach

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Verbrechen" war das literarische Debüt des Berliner Strafverteidigers Ferdinand von Schirach. Es ist eine Anthologie mit elf Kurzgeschichten, von denen offenbar viele annehmen, sie beruhten auf realen Kriminalfällen. Tatsächlich sind nur einzelne Komponenten "wahr", wie Schirach in Interviews mit Verweis auf seine Schweigepflicht des Öfteren betont.

"Könnte dieses oder jenes so oder ähnlich wirklich passiert sein?" Dieser Gedanke schleicht sich beim Lesen natürlich trotzdem ein und trägt zum Reiz des Ganzen bei. Die Erzählweise unterstützt das auch: Schirach erzählt sprachfertig, aber nüchtern, sachlich. Mit kühler Nähe zu den Figuren, die dennoch Eindruck hinterlassen. In allen Geschichten geht es um die Schuldfrage, auch vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und familiären Einflusses. Mit anderen Worten: Zum Verbrecher wird niemand geboren, die Welt schleift uns.

Mir hat das Buch gut gefallen. Inhaltlich sind die 8 bis 32 Seiten langen Erzählungen recht unterschiedlich, teilweise überraschend. Manche lesen sich wie ein Märchen ("Der Äthiopier"), andere wie eine Tragödie ("Das Cello"). Wieder andere wären eine gute Vorlage für einen Tarantino-Streifen. Etwa die Sache mit der Matchaschale oder die mit den rechten Schlägertypen, die im Bahnhof einen "Buchhalter" attackieren. Völlig irre, manchmal brutal und auf eigentümliche Weise unterhaltsam. Kennt noch jemand die alten "Alfred Hitchcock präsentiert"-Folgen? Ich fühlte mich ein wenig daran erinnert. Allein die seltsamen Wendungen, die die Ereignisse mitunter nehmen.

Am Ende jeder Geschichte tritt Schirach selbst in Erscheinung und übernimmt die Verteidigung. Wieder so eine Sache, die den Anschein von Echtheit erweckt. Was man sich in diesem Falle tatsächlich wünscht. Denn obgleich das komplizierte Verhältnis von Recht und Moral jeweils deutlich wird, scheinen mir deutsche Gerichte zumeist sehr verantwortungsvoll und menschlich zu urteilen. Beruhigend!

Kommentare

E-möbe kommentierte am 20. April 2019 um 08:18

Ich lese den Schirach gern (übrigens sind auch die Verfilmungen dieser Kurzgeschichten einen Blick wert, gibt's bestimmt in der Mediathek irgendwo). Aber mein Urvertrauen in die deutschen Gerichte und Urteilsverkündungen habe ich schon vor einiger Zeit verloren.

Lies mal den hier: https://wasliestdu.de/max-steller/nichts-als-die-wahrheit-0