Rezension

Anders als gedacht, aber wenn man sich darauf einlässt, sehr tiefgehend

Unter uns das Meer - Amity Gaige

Unter uns das Meer
von Amity Gaige

„Unter uns das Meer“ erscheint wie ein Buch, dass die Liebe zum Meer zelebriert. Und das ist es auch. Aber es ist noch so viel mehr. Ich dachte zunächst, dass ich nun eine Geschichte über ein Ehepaar und seine zwei Kinder lesen werde, die beschließen ein Jahr auf dem Ozean zu segeln. Sie brechen aus ihrem Alltag aus und stürzen sich Hals über Kopf in ein Abenteuer. Es wäre aufregend genug gewesen, aber Amity Gaige schlägt mit dem Abenteuer eine komplett andere Richtung ein als gedacht. Durch den Aufbruch von Juliet und Michael brechen die gesellschaftlichen Konventionen auf. Im Verlaufe der Handlung erfahren wir viele intime Geheimnisse und Situationen im Leben der beiden. Wenn man anfangs von einer Ode ans Segeln glaubte, wird einem schnell klar, dass Gaige sich eher um das Thema Freiheit bewegt. Freiheit auf dem Meer, aber auch Freiheit der Menschen an sich. Sowohl Michael als auch Juliet sind in ihrem Alltag gefangen gewesen. Michael treibt die Gesellschaft stetig voran und lässt ihn nicht aufatmen. Während Juliet die Vergangenheit schwer zu schaffen macht. Sie wird getrieben von Erinnerungen, die sie nicht loslassen und durch die sie in Depressionen stürzt. Unverstanden von ihrem Ehemann leben sie sich zunehmend auseinander. Bis Michael die Reißleine zieht und ein Segelboot kauft. Damit reißt er sie aus ihrem Alltag und rettet damit nicht nur ihre Ehe.

Amity Gaige schreibt hauptsächlich aus den Perspektiven von Juliet und Michael. Michael verfasst auf dem Segelboot ein Logbuch, welches uns die Tage auf See als auch die Vergangenheit erzählt. Juliet dagegen schreibt ein Tagebuch, welches sich auf drei Zeitebenen bezieht. Sie gewährt uns somit einen Einblick in die Vergangenheit, die Segelfahrt und auch die Gegenwart, welche nach der Segeltour spielt. Im weiteren Verlauf kommt eine weitere Erzählperspektive hinzu, die von ihrer Tochter Sybil. Alles zusammen beschert uns Einblicke in die Gedankenwelt der Protagonisten und zeigt somit die verschiedenen Meinungen und Ansichten. Es wirkt sehr, sehr intim und beinahe so als hätte man die Aufzeichnungen selbst gefunden.

Der Roman „Unter uns das Meer“ zeugt von einer tiefgehenden Thematik, die schwer in Worte zu fassen ist. Die Probleme der Familie, die von außen nahezu perfekt erscheint, werden nach und nach ans Licht gezerrt. Dadurch werden die Protagonisten  gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Und gerade diese Auseinandersetzung ist der Knackpunkt der Geschichte, der der Familie erst die Freiheit schenkt. Im Verlauf der Handlung erkennt man ein stetigen Widerstreit der Figuren, die sich dadurch selbst ihre Fesseln anlegen. Nur allein durch die direkte Konfrontation war es ihnen erst möglich, sich den Fesseln zu entlegen und die Gefahr des Untergangs zu entgehen. Der deutsche Titel „Unter uns das Meer“ ist für mich ein Bild, welches aufzeigt, dass unter der Fassade der Menschen eine unberechenbare Gefahr lauert, die nur gebändigt werden kann, wenn man sich hineinstürzt und versucht damit fertig zu werden. Genauso wie Juliet „Der Sturm hatte sich verändert, war undurchdringlicher geworden. Meer und Himmel kämpften gegeneinander. Der Himmel schickte den Wind, um aus Meer einzuschlagen, und das Meer hielt dagegen, holte mit den Wellen aus und ohrfeigte den Himmel. Und keiner von beiden gab nach. […] Handle. Tu was. Erinnere dich.“ (S. 297-298)