Rezension

Sommer, Sonne, Sand und Meer.

Unter uns das Meer - Amity Gaige

Unter uns das Meer
von Amity Gaige

Bewertet mit 3 Sternen

Man darf nicht zu pragmatisch sein - sonst kann man die sogenanten Eheprobleme nicht verstehen.

Seit Michael Partlow in seiner Kindheit mit Daddy ein bisschen rum gesegelt ist, träumt er von einem eigenen Segelboot. Seine Ehe mit Juliet dümpelt vor sich hin, genauso ist es mit seinem Job. Da sieht er ein Boot und verliebt sich. Das muss er haben, das ist das richtige, bloß ausgesprochen doof, dass er es sich nicht leisten kann.

Ruckzuck überzeugt er Juliet davon ein Jahr lang auszusteigen und durch die Karibik zu schippern. „Sommer, Sonne, Sand und Meer“. Was kann es Schöneres geben, vor allem wenn die Kinder, Sybil 7, und Zwerg Georgie sowie so, noch nicht schulpflichtig sind.

Der Roman „Unter uns das Meer“ punktet mit Seeluft, Segellatein und Meer. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er etwas erzählen. Die Familie kommt eigentlich ganz gut klar. Obwohl Juliet keine Ahnung hat, wird sie allmählich, fast widerwillig, eine passable Seglerin. Und das muss sie auch, denn …

Eines Tages mitten auf hoher See muss sie eine schwere Entscheidung treffen. Ihr Mann ist an Denguefieber erkrankt und ein Sturm kommt auf. Whats to do? Nach einigem Hin und Her stellt sich heraus, dass sie, wenn sie Michael evakuieren läßt, das Boot alleine nach Hause segeln müsste (ist sie dem gewachsen oder wird sie umkommen bei dem Unternehmen) oder wenn sie alle zusammen von Bord geholt werden, muss sie das Boot versenken. O weia. Und dabei gehört es ihnen nicht einmal. Versenkt sie das Boot, werden sie ein Leben lang im Schuldenturm hocken. Sie hat nicht viel Zeit, eine folgenschwere Entscheidung zu treffen. Das ist eine Situation, die man sich wünscht. Angst. Druck. Lebensgefahr. Ausweglose Situation. Diese Zuspitzung hat Amy gut gemacht!

Amy Graige stellt ihre Personen mittig und glaubwürdig hin. Dennoch ist manches an den Haaren herbeierzählt. Gewisse Dinge werden einfach behauptet, kaum verifiziert, geschweige denn zu Ende erzählt. Eheprobleme? Wo denn? Der Sex stimmt, beide lieben ihre Kids und in der Erziehung sind sie sich auch einig, Juliet vertraut Michaels Entscheidungen (das hätte sie mal nicht immer tun sollen). Klar, man gerät sich auf engem Raum mal in die Haare – but thats normal. Also die sogenannten Eheprobleme existieren eigentlich gar nicht.

Amy Graige beleuchtet auch Juliets und Michaels Familienhintergrund. Juliet wurde depressiv nach der Geburt des zweiten Kindes und laboriert an den emotionalen Folgen sexueller Übergriffen, die in ihrer Kindheit passierten, es gibt kaum einen Roman mehr, der ohne dieses Thema auskommt, hat aber offensichtlich, obwohl ihr die Mutter damals nicht geglaubt hat, kein Vertrauensproblem. Aber warum Michael sein Boot über alles stellt und geradezu fanatisch auf dem Ausstiegsjahr besteht und das Boot quasi stiehlt, geht über meine Begriffe. Denn hätte er eine ordnungsgemäße Versicherung abgeschlossen, hätte Juliet sich im Worstcase viel freier entscheiden können.

Das Buch wird von hinten her erzählt. Juliet sitzt im Schrank und fragt sich, was sie falsch gemacht hat. Aber alsbald erholt sie sich von ihrer Depression und wandelt fröhlich ihres Wegs.

Fazit: Der Roman ist atmosphärisch gut aufgestellt, seine Personen sind im Großen und Ganzen glaubwürdig, man spürt Esprit und der Roman ist liebevoll konstruiert. Aber er kommt mit Logbuchaufzeichnungen und Gedichten auch ein wenig naiv daher, und vor allem ist er thematisch überfrachtet.

Kategorie: Unterhaltung
Eichbornverlag, 2020.