Rezension

Auf den Spuren der Vergangenheit und der Suche nach sich selbst

Es muss dunkel sein, damit man die Sterne sieht - Jenny Bünnig

Es muss dunkel sein, damit man die Sterne sieht
von Jenny Bünnig

Bewertet mit 5 Sternen

~~Ria entschließt sich sehr kurzfristig, nahezu überstürzt, mit ihrer über 70-jährigen Oma Charlie und deren gleichaltrigen Freundinnen Frau Lensker, Margot und Hildie in einem alten VW-Bus eine Reise durch den Süden Europas zu machen. Dass sie eigentlich nicht zu dieser Reise eingeladen war und ihre Abreise eher einer Flucht gleicht, stört Ria wenig, kriegt sie doch kaum Luft, so voller Wut und Schmerz ist sie innerlich. Ihr Vater ist vor kurzem gestorben und bis jetzt kann sie mit dem Verlust nicht umgehen. Die Reise mit den 4 älteren Damen, die im Wesen nicht unterschiedlicher nicht sein könnten, führt über Frankreich, die Schweiz, Italien, Spanien nach Portugal. Mit jedem dieser Orte verbindet eine der Frauen etwas aus ihrer Vergangenheit, und so offenbaren sich nach und nach die Geschichten der einzelnen Reiseteilnehmerinnen. Dabei entdeckt Ria, was die vier alten Damen verbindet, während die vier Frauen Ria dabei helfen, sich ihren Dämonen zu stellen.
Jenny Bünnigs Debütroman „Es muss dunkel sein, damit man die Sterne sieht“ ist ein Roadtrip der besonderen Art. Der Schreibstil ist herrlich flüssig, geradezu poetisch, doch auch leise Töne sind zu hören. Der Roman wird in der Ich-Form aus der Sicht von Ria erzählt. Die einzelnen Charaktere sind sehr liebevoll angelegt, die man erst nach und nach immer besser kennenlernt. Da gibt es die etwas herbe, teilweise recht schroffe Frau Lensker, die zwar außen hart, aber innen ganz zart ist und das Heft in der Hand hält. Ohne ihr Organisationstalent und ihre mechanischen Fähigkeiten wäre die Reisegruppe schnell aufgeschmissen. Margot ist eher der stillere Typ, sie ist schwer krank, doch sie hat eine Aufgabe, die sie am Leben hält. Hildie ist die Leseratte, die für alles ein Zitat aus ihrem reichhaltigen Bücherwissen hat und deren wirkliche Welt in den Romanen stattfindet, in die sie sich flüchtet. Oma Charlie ist eine warmherzige Person, die auch in ihrem hohen Alter von ihrer ersten Liebe träumt, weil sie diese Gefühle im Alltagsleben mit Rias Großvater vermisst. Und Ria ist eine rastlose Seele, voller Trauer und Wut, ohnmächtig gegenüber den Ereignissen aus ihrer jüngsten Vergangenheit, weil sie nicht weiß, wie sie mit dem Verlust umgehen soll. Außerdem fühlt sie sich einsam, ohne jede Identität und versucht, sich zu finden.
Die Reise der fünf Frauen, die Dinge, die sie gemeinsam erleben, schweißen sie Tag für Tag noch enger zusammen. Sehr warmherzig werden die einzelnen Schicksale vor dem Leser entblättert. Auf einzigartige Weise behandelt die Autorin in ihrer Geschichte sensible Themen wie den Verlust eines Menschen, den Tod, Gewalt, die Liebe und auch die Trauer. Immer wieder werden literarische Zitate und Weisheiten innerhalb der Dialoge eingestreut, die wunderbar zu den einzelnen Situationen passen. Und nicht wenige davon kann der Leser auch fürs eigene Leben mitnehmen.
Jenny Bünnig hat ein furioses Debüt vorgelegt, das seinesgleichen sucht. Sie ist eine Meisterin der leisen und poetischen Töne, die nach und nach dem Leser die einzelnen Schicksale entblättert und dabei eine wunderschöne Geschichte erzählt. Ein besonderes Lesehighlight, das man einfach lesen und genießen muss! Chapeau!!!