Rezension

Das doppelte Lottchen aus der Kinderwiege gehoben

Die Anomalie -

Die Anomalie
von Hervé Le Tellier

Bewertet mit 5 Sternen

Erich Kästner hat es uns mit seinem doppelten Lottchen schmackhaft gemacht und dem Kindertraum, mit einem Doppelgänger allerhand Schabernack zu treiben, Vorschub geleistet.

Hervé Tellier lässt seine Protagonisten in diesem Buch allerdings ohne Wunschgedanken und ahnungslos in diese Situation rutschen. Im März landet eine Maschine aus Paris, durch einen Gewittersturm schwer beschädigt, in New York, alle Passagiere sind wohlauf. Drei Monate später ist dieselbe Maschine, mit denselben Menschen an Bord wieder im Landeanflug auf die amerikanische Metropole. Den Lotsen ist schnell klar, dass etwas nicht stimmen kann und lassen die Maschine separieren. Sowohl Fluggäste, als auch das Bordpersonal werden in einem Hangar untergebracht und von FBI befragt. Niemand versteht, was passiert ist, aber nach und nach wird klar dass jetzt jeder von ihnen einen Doppelgänger besitzt, der schon drei Monate länger gelebt hat, als sein Pendant.

Auch wenn unklar bleibt, wie dieses Phänomen zustande gekommen ist (allerdings gibt es da auch brillante Erklärungsansätze), versteht Tellier es, den Leser mit seinem bunten Strauß aus Doppelgängern nicht nur eine abwechslungsreiche Story zu liefern, sondern auch philosphische Gedanken heraufzubeschwören. Bekommt der austherapierte Krebspatient seine 2. Chance? Zwei Auftragskiller mit demselben Ziel? Dieselben Frauen, allerdings ist eine davon schwanger... Im Alter lässt sich vieles komplizierter an, da gibt es nur eine Wohnung für zwei eigenständige Menschen, einen Job, ein Gehalt, eine Rente. Nur die jüngere Generation, wie der Afro-Pop Sänger Slimboy scheint mit der Zwillingsbruder-Lösung eingermaßen zurechtzukommen.

Die Anomalie ist eine komplexe Story, die sich allerdings mit den Kapiteln gut sortieren lässt und die nicht nur Science-Fiction-Interessierte, sondern auch Schicksals-Leser auf ihre Kosten kommen lässt. Ein rundum empfehlenswertes Buch, mit einem Gänsehaut-Moment am Ende.