Rezension

Die Bahnhofsmission - Schicksalsort

Die Bahnhofsmission -

Die Bahnhofsmission
von Veronika Rusch

Bewertet mit 5 Sternen

Berlin 1945 Der Krieg ist zu Ende. Die Stadt liegt in Trümmern und die Menschen versuchen, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden. 38 Jahre sind seit den dramatischen Ereignissen in der Bahnhofmission am Schlesischen Bahnhof vergangen und die Freundinnen von damals haben unterschiedliche Lebenswege beschritten.

Alice ist in Berlin geblieben, hat als Hilfskrankenschwester beim Roten Kreuz während des Krieges gearbeitet. Nun muss sie ihr Leben neu ordnen . Angesichts all des Elends wächst in ihr der Entschluss, die Bahnhofsmission wieder zum Leben zu erwecken. Und so macht sie sich tatkräftig wie immer an diese Herkulesaufgabe. Ihr erster Weg führt sie zum Pfarrhaus gegenüber des Bahnhofes. Dort trifft sie zu ihrer großen Freude auf ihre ehemalige Mitstreiterin Marthe, die sofort ihre Unterstützung zusagt. Es gelingt auch den russischen Kommandanten Wulkow von der Idee, zu überzeugen. Wieder wird Tee gekocht, Stullen geschmiert, Wunden versorgt und Trost gespendet. Nach und nach finden die ehemaligen Weggefährtinnen den Weg zurück zur Bahnhofsmission. Auch Natalie, die damals bei Nacht und Nebel verschwand, ist zurück auf der Suche nach den losen Enden von damals.

Man kann diesen 2. Band gut lesen, ohne den ersten zu kennen. Da der 1. Band genauso lesenswert ist wie das vorliegende Buch, kann ich es nur jedem ans Herz legen. Die Autorin zeichnet ein sehr anschauliches und lebendiges Bild vom zerstörten Berlin in den ersten Wochen  nach Kriegsende. Zerstörte Wohnungen, vermisste Familienangehörige, Hunger, Angst vor Vergewaltigung  - all dasmuss eine unmenschliche Belastung dargestellt haben. Hinzu kommen erlittene Kriegstraumata vielfältiger Natur. Gleichzeitig liegt auch Hoffnung und Aufbruch in der Luft .

Ich habe Alice und ihre Mitstreiterinnen sehr bewundert, dafür wie sie sich mit aller Kraft dem Elend entgegen stellen. Gleichzeitig nutzt die Autorin das Schicksal einzelner, um mir einige Aspekte des Krieges und  deren Auswirkungen nahe zu bringen und für mich sichtbar zu machen. Besonders berührt hat mich Babettes Schicksal, die in einem KZ als Lagerhure benutzt wurde.

Natalie muss sich mit der eigenen Vergangenheit  auseinander setzen. Ihre Tochter Claire begleitet sie und stellt Fragen, auf  die es nur unliebsame Antworten gibt. Am Ende gibt es für alle ein versöhnliches Ende. Für die eine oder andere  vielleicht zu viel des guten, aber nach all dem Leid und Schrecken haben sie es sich in meinen Augen redlich verdient.

Der Roman weckt  eine unterschiedliche Bandbreite an Gefühlen und beschäftigt sich mit vielen Aspekten der damaligen Zeit. Indem die Autorin diese mit einzelnen Personen verknüpft, erfüllt sie nackte Tatsachen mit Leben und weckt mein Verständnis und Mitgefühl. Trotzdem ist es  vor allem ein gelungener Unterhaltungsroman, der gefangen nimmt und eine packende Geschichte erzählt.