Rezension

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Trümmermädchen – Annas Traum vom Glück -

Trümmermädchen – Annas Traum vom Glück
von Lilly Bernstein

Bewertet mit 5 Sternen

1941-1948 Köln. Die Bäckerei von Tante Marie und Onkel Matthias ist der liebste Platz der 11-jährigen Anna, doch der Krieg zerstört ihre kleine heile Welt. Onkel Matthias wird zum Kriegsdienst eingezogen, so dass Anna und ihre schwangere Tante Marie allein auf sich gestellt sind. Als eine Bombe die Bäckerei völlig zerstört, wird die Lage für Anna, Marie und deren gerade im Bunker geborenen Sohn Karl sehr schwierig, da Köln in Schutt und Asche liegt, es kaum noch Lebensmittel gibt und auch der Kältewinter vor der Tür steht. Anna schließt sich einer Schwarzmarktbande an und betätigt sich fortan als Kohlediebin, um sich und ihre Familie über die Runden zu bringen. Dabei verlieren sie das Versprechen Onkel Matthias gegenüber nie aus den Augen, auch wenn ihnen immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden und sie oftmals an den Rand der Verzweiflung sind…

Lilly Bernstein hat mit „Trümmermädchen“ einen sehr anrührenden Roman mit historischem Bezug vorgelegt, in dem sie nicht nur Informationen ihrer eigenen Familienbiografie verarbeitet hat, sondern auch in lebhafter Form die damaligen harten Lebensumstände authentisch wiederspiegelt. Der flüssige, bildreiche und emotionale Erzählstil bindet den Leser schnell an die Handlung und lässt in die Zeit zurückwandern, um Köln mitten im Krieg zu erleben, während er sich in Annas Familie einnistet. Schilderungen der Bombardierung von Köln, der nervenaufreibenden, ängstlichen Zeit im Bunker sowie die Trümmerlandschaft brennen sich dem Leser während der Lektüre in die Netzhaut und verursachen Gänsehautmomente sowie ein mulmiges Gefühl. Auch die stetig schlimmer werdende Kälte, der unbändige Hunger sowie die ständige Angst sind allgegenwärtig, während immer mal wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer durchblitzt, der ein wenig Wärme versprüht in dieser kalten Zeit versprüht. Eindrucksvoll vermittelt die Autorin anhand ihrer Protagonisten, wie sehr gerade Frauen und Kinder sich in der Nachkriegszeit verdient gemacht haben, weder vor unkonventionellen Ideen noch vor harter Arbeit zurückzuschrecken, um ihre Lieben halbwegs ernähren, wärmen und vor allem ihr Überleben sichern zu können. Unsereins kann sich kaum vorstellen, wie es ist, im eisigen Winter ohne Schuhe zu laufen oder über ein kleines Stückchen Brot unendlich dankbar zu sein. Freud und Leid liegen hier so nahe beieinander, dass man als Leser durch eine wahre Achterbahn der Gefühle wandelt, während man das Schicksal der Menschen von damals so greifbar vor Augen hat und ihren Mut, ihren Zusammenhalt und vor allem ihren Kampfgeist nur bewundern kann.

Liebevoll und detailliert gezeichnete Charaktere mit individuellen Ecken und Kanten wurden hier perfekt in Szene gesetzt, so dass der Leser sich ihnen sofort anschließt und mit ihnen fürchtet, bangt und hofft. Anna ist zwar noch ein Kind, jedoch wirkt sie aufgrund der Umstände oftmals wie eine alte weise Frau. Sie ist fleißig, verantwortungsvoll, hilfsbereit und mutig, immer mit dem Blick nach vorn. Auch Marie und Matthias sind sehr sympathische Menschen, die andere selbst in dunkelster Zeit unterstützen, obwohl sie selbst kaum etwas haben. Doch die Liebe und ihre Träume halten sie zusammen und lassen sie über sich hinauswachsen. Aber auch Karl, Agnes, Ruth, Dean, Hilde, Joseph und viele mehr berühren mit ihren Geschichten und lassen dieses Buch zu einem wahren Erlebnis werden.

„Trümmermädchen“ fesselt mit einer emotionalen Geschichte über den täglichen Überlebenskampf der Menschen im Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit, über harte Entbehrungen sowie die kleinen Freuden und Hoffnungsschimmer in einer dunklen, schweren Zeit. Anrührend und unerwartet bildgewaltig, man hat das Gefühl, leibhaftig dabei zu sein. Absolute Leseempfehlung für einen richtigen Bücherschatz! Chapeau – besser geht es nicht!