Rezension

Die Rache der Gestrigen

Der rote Judas - Thomas Ziebula

Der rote Judas
von Thomas Ziebula

Bewertet mit 5 Sternen

„...Erinnerungen, die man glaubt vergessen zu können, indem man sie in Alkohol und Schweigen vergräbt, verfolgen einen ein Leben lang….“

 

Wir schreiben das Jahr 1920 in Leipzig. Gymnasiallehrer Jagoda wird aus dem Krankenhaus entlassen. Es sind die Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg, die ihn in die Psychiatrie gebracht haben. Doch sein neues Leben währt nur wenige Stunden, dann ist er tot.

Paul Stainer kommt aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurück. Auch ihn quälen Alpträume. Seine einst schwarzen haare sind schlohweiß. Hinzu kommt, dass seine Frau Edith ihn für tot hielt und einen neuen Freund hat. Es erstaunt Paul allerdings, dass er im Kommissariat freundlich empfangen und sofort zum Kriminalinspektor befördert wird. Sein erster Toter wartet schon auf ihn, denn Paul erkennt schnell, dass es sich bei Murrmann um keinen Selbstmord handelt.

Der Autor hat einen fesselnden historischen Kriminalroman geschrieben. Der Erste Weltkrieg liegt nur kurze Zeit zurück, doch er beeinflusst so stark wie nichts anderes das Geschehen.

 

„...Wahrscheinlich gab es keine Gespenster, ganz gewiss aber gab es deutsche Männer, die jahrelang kaum geschlafen, in Unterständen gehaust, in Schützengräben gezittert, neben toten Kameraden geweint, zu viel geraucht und zu wenig gegessen hatten...“

 

Das Zeitgeschehen wird gut beschrieben. Einerseits ist die junge Republik gerade entstanden, andererseits nimmt die Schwarze Reichswehr gern das Geschehen in die eigenen Hände.

Noch ahnt Paul nicht, dass der Mordfall mit Kriegsverbrechen aus dem Jahre 1914 zu tun hat und dass er etlichen alten Bekannten bald gegenüberstehen wird, ja, dass er selbst auf einer Abschussliste steht.

Der Schriftstil ist abwechslungsreich und passt sich den Ereignissen gekonnt kann. Dazu gehört auch, dass der Autor besondere Stilelemente verwendet. Eins davon ist Rosas Tagebuch, in dem sie sich an ihren gefallenen Verlobten wendet. Die junge Frau erscheint mir anfangs als leichtlebig und oberflächlich, entpuppt sich aber im Laufe der Handlung als starke Persönlichkeit.

Deutlich wird, dass an keinem der Weltkrieg spurlos vorübergegangen ist. Auch Stainer muss erst lernen, wer Freund und wer Feind ist. Dabei macht er überraschende Entdeckungen. Manch einer flüchtet sich in Alkohol und Sarkasmus, weil er sich seiner Vergangenheit schämt. Andere versuchen einen Neuanfang, so der junge Polizist Junghans. Gefährlich sind die, die alles Neue ablehnen und auf alte Machtstrukturen setzen. Ich weiß nicht, ob es der Autor beabsichtigt hat, aber für mich liegt daran schon der Keim für die Entwicklung, die ein reichliches Jahrzehnt später beginnen wird. Was schon spürbar ist, ist der Judenhass. So schreibt Rosa über ihren Bruder im Tagebuch:

 

„...Ich habe mich gewundert, denn vorige Woche erst hat er mir erklärt, dass er das Haus eines Juden lieber nicht betrete...“

 

Bei seinen Ermittlungen stößt Stainer auf den begriff der Operation Judas. Es zeigt sich, dass eine größere Mordserie in Leipzig geplant ist. Nicht jeder, der im Kommissariat arbeitet, spielt wirklich ehrlich. Das erschwert mögliche Fortschritte bei der Aufklärung der Morde.

Gleichzeitig wird Stainers innere Zerrissenheit in jeder Zeile deutlich. Er ist sich nicht sicher, ob er dem Leben schon wieder gewachsen ist. Es sind Kleinigkeiten, die ihn zurück an die Front katapultieren wie ein Gemälde an der Wand.

Nicht unerwähnt möchte ich die kurzen Ausflüge in die Psychoanalyse lassen.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es thematisiert auf äußerst spannende Weise die Folgen der Ersten Weltkriegs für den einzelnen und für die Gesellschaft.