Rezension

Ein Buch, das mich lange begleiten wird

Ein untadeliger Mann
von Jane Gardam

Bewertet mit 5 Sternen

~~Sir Edward Feathers, ein untadeliger Mann vom Scheitel bis zur Sohle, hat ein langes Leben im Dienst der Krone verbracht, seinen Lebensabend möchte er zusammen mit seiner Frau Betty in Dorset verbringen. Aber was war das für ein Leben? Jane Gardam entwirft mit Feathers Leben – Filth – später Old Filth – auch ein Bild des sterbenden Britischen Empires, dessen Vertreter und gleichzeitig Opfer Edward war.
„Er war sagenhaft sauber. Geradezu ostentativ sauber. Der Rand seiner Fingernägel war reinweiß. Die wenigen Haare unter den Fingerknöcheln waren immer noch golden und wirkten stets wie frisch shamponiert, ebenso wie sein lockiges, immer noch rötlich braunes Haupthaar.“
Das Buch ist nicht linear erzählt, in Rückblenden, Erinnerungen und Reminiszenzen erschließt sich ganz langsam das Leben Edwards, seine Gefühlskälte, seine Unfähigkeit zu lieben und seine versteckten Unsicherheiten. Edward ist eine sogenannte Raj-Waise, der Ausdruck für die englischen Kinder, die im Alter von 4-5 Jahren von den in den Kolonien lebenden Eltern, zur Erziehung nach England geschickt wurden. Manchmal gab es Verwandte, meist waren es Pflegeeltern, die gegen Geld die Kinder aufnahmen. Es gab gute und auch schlimme Erfahrungen für die Kinder. Edward hatte Pech, Ma Didds war eher ein Alptraum. Später soll Edward sagen:
 "Wir wollten keine Kinder, wenn man als Kind nicht geliebt wird, kann man später keine Kinder lieben."
Dieses Gefühl zieht sich durch das ganze Buch: Verlassen werden – eine Erfahrung, die Edward sein ganzes Leben immer und immer wieder machen wird und diesem Gefühl wird er mit der einzigen Möglichkeit begegnen, die er hat. Er zeigt sich britisch mit der Stiff upper Lip. Niemand mehr an sich heran lassen, keine Gefühle zeigen – (noch nach Jahren weiß er nicht den Namen seiner Haushälterin) erst nach Bettys Tod, bricht dieser Panzer allmählich auf.
Jane Gardam findet für Edward einen ganz besonderen Ton, er ist empathisch und mitfühlend, so dass sich das auch auf den Leser überträgt. Wir leiden mit ihm, wenn wir zwischen den Zeilen seine Einsamkeit sehen und immer wieder Zeuge werden, wie er allein gelassen wird, von seinem Vater, seinen Tanten, seinem einzigen Jugendfreund. Es ist ganz große Kunst, wie die Autorin mit nur wenigen Seiten den Leser in Bann ziehen kann. Dabei ist es eine Geschichte, die immer wieder mit pointiertem, typisch englischem Humor aufwarten kann. Jane Gardam findet einfach Sätze und Szenen zum Niederknien!
Obwohl der Roman anspruchsvoll ist und gerade mit seinen Anspielungen, Reminiszenzen und der rückwärts gerichteten Erzählweise die Aufmerksamkeit des Lesers fordert, ist das Buch Unterhaltung in bestem Sinn. Kaum ist die letzte Seite umgeblättert, kann man sich mit der Aussicht auf den nächsten Band der „Old Filth Trilogie“  der im Mai erscheinen soll, trösten.
 

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 08. Februar 2016 um 17:10

*Daumenhoch* - eine wirklich klasse Rezi!! Ich kann mich Deinen Worten nur anschließen ;)

Eva Mareike Jansen empfahl am 08. Februar 2016 um 18:44

Liebe Bibliomarie, vielen Dank für diese warmherzige und den Lesehunger weckende Rezension. Und ich habe eine schöne Nachricht bezüglich des Erscheinungstermins von "Der treuen Frau", auf die Du am Ende hinweist. Wie ich letzte Woche vom Verlag erfuhr, ziehen sie die Auslieferung auf Mitte März vor, dass heißt, so lange muss man gar nicht mehr warten, bis man weiter lesen kann! Der Abschlußband folgt dann im Herbst... Viele Grüße, Deine Mareike