Rezension

Ein herausragender Krimi!

Der Schmetterling - Gabriella Ullberg Westin

Der Schmetterling
von Gabriella Ullberg Westin

Bewertet mit 5 Sternen

Manche Bücher sind wie Kreuzberger Nächte. Erst fangen sie ganz langsam an. Aber dann, aber dann! Die Methode ist nicht neu: Misstrauen frisst Seele auf, Stück für Stück, und die Spannung wächst. Alfred Hitchcock lässt grüßen. Heiligabend in Hudiksvall, Nordschweden: "Der Weihnachtsmann kommt ein bisschen später. Tut mir leid! Kuss!" Heiligabend würde also anders verlaufen, als Henna es sich vorgestellt hatte, das war ihr schlagartig klar. In der letzten Zeit hat sich nur weniges so entwickelt, wie sie es gehofft hatte, doch sie hatte sich viel Mühe gegeben, damit wenigstens dieser Tag perfekt wurde. Es war schon eine Weile her, dass Måns ins Auto gestiegen und nach Hudiksvall gefahren war, und mittlerweile war es draußen stockfinster. So sehr sie das norrländische Licht im Sommer liebte, so sehr hasste sie diese Dunkelheit, die sich jetzt wie ein Topfdeckel über sie gelegt hatte. Durch das große Fenster sah sie, dass es noch immer schneite. Sie hing ihren Gedanken nach, aber zuckte zusammen, als in der Ferne ein Motorengeräusch zu hören war. Sie hielt die Luft an, um besser lauschen zu können. Das Geräusch kam immer näher. Sie ging in den Flur. „Jetzt kommt er, jetzt kommt er!“, rief ihr Sohn. Die Kinder kamen an ihre Seite gerannt. Ihre kleinen Hände suchten Halt in ihrer Hand. Sie holte tief Luft, dann gingen sie gemeinsam zur Tür. Durch das Fenster im Flur war eine rot gekleidete Figur zu sehen, und da überkam sie ein wohliges Gefühl. Endlich war er zu Hause, Heiligabend konnte beginnen. Sie umfasste die Türklinke und drückte sie nach unten. „Willkommen, lieber Weihnachtsmann“, sagte sie. Henna öffnet dem Weihnachtsmann die Tür, der ihre beiden Kinder überraschen soll. „Hallo, hallo. Gibt es hier denn brave Kinder?“ Die Stimme ließ ihre Muskeln im ganzen Körper erstarren, vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Sie sah auf das freundliche Lächeln unter dem weißen Kunsthaarschnurrbart und blickte in die Augenhöhlen der Gesichtsmaske, die einen netten Ausdruck hatte. „Mama, der Weihnachtsmann hat aber eine tiefe Stimme …“ Kein Zweifel, wem diese Stimme gehörte: Es war die Stimme des Bösen. Es ist nicht ihr Ehemann in Verkleidung, sondern ihr Mörder. Er drängt sie ins Haus und streckt sie mit mehreren Schüssen nieder. Mit letzter Kraft schleppte sie sich ins Badezimmer. Das Ende war schneller gekommen, als sie erwartet hatte. Sie stirbt vor den Augen ihrer Kinder. Kommissar Johan Rokka ist nach zwanzig Jahren in Stockholm gerade erst in seine alte Heimatstadt zurückgekehrt und wird die Mordermittlung übernehmen. Es ist ein schwerer Start, denn Henna war die Frau seines alten Schulfreunds Måns. Im Kreis der Verdächtigen sind Freunde von früher. Dann geschieht ein zweiter Mord. Kennt Rokka den Mörder bereits? Ist er der Nächste auf seiner Liste? Gabriella Ullberg Westin spielt auf dieser Klaviatur, als habe sie sie geschaffen. Längst rast der Plot. Jedenfalls stellt sich die Erschießung der Ehefrau am Ende recht anders dar, als sich anfangs vermuten ließ. Psychologisch raffiniert komponiert und rasant spannend. Die Autorin lässt uns an den Gedanken der Protagonisten teilhaben und spielt geschickt mit den Erwartungen des Lesers. Das ist das Raffinierte an diesem Krimi. Perfides Spiel um Schein und Sein mit düstere Atmosphäre und dem typisch schwedischen Krimi-Pragmatismus. Schwedenkrimis, wie ich sie liebe: Nicht düster, spannend- und mal nicht in Stockholm, sondern in Hudiksvall! Und ja: Eigenwillige Ermittler hats hier auch! Psychologisch dicht, spannender Handlungsfaden und echte Originale, die Nordschwedens Verbrecher jagen, super! Ein in allen Belangen wirklich guter Krimi!